Weg-Wort vom 11. Dezember 2006
Warten und hoffen
Wir machen uns in der Regel Bilder von dem, was wir erwarten. Und wenn es
dann da ist, entspricht es meistens doch nicht ganz unseren Vorstellungen.
Passt es nicht ins Bild. Und wir sind enttäuscht.
Wir machen aber auch die Erfahrung, dass eine Erwartung, die sich für uns -
wie erhofft - erfüllt, dennoch oft eine seltsame Leere hinterlässt. Die
Erfüllung ist zwar da und doch sind wir nicht zufrieden und glücklich.
Eine Frau, die ihre grosse Liebe gefunden hatte, sagte nach einiger Zeit:
Er passt in allem zu mir. Ich habe nichts, rein gar nichts an ihm
auszusetzen. Mir fehlt wirklich nichts. Er erfüllt mir alle Wünsche und
Sehnsüchte. Nur er lässt mir keinen Raum zum Träumen!
Mit ihrer Erfüllung sterben die Erwartung, die Hoffnung und die Sehnsucht.
Was uns dann fehlt und eine Leere hinterlässt, ist ihre Kraft. Die inneren
Kraftströme fliessen nicht mehr.
Hoffen und warten erzeugen in uns eine Spannung. Wer sie nicht aushält und
alle Bedürfnisse sofort befriedigen muss, wird abhängig von ihnen. Er wird
kein starkes Ich entwickeln.
Wer aber wartend die Spannung aushält, wird innerlich weit und frei. Sie
verleiht Energie und macht lebendig. Sie richtet auf und lässt uns aufrecht
gehend hoffen und warten.
Wir brauchen offensichtlich unsere Hoffnungen und Sehnsüchte, um kraftvoll
und sinnerfüllt zu leben. Ohne sie könnten wir nicht leben.
Wartend und hoffend spüren wir aber auch, dass wir uns selbst nicht genug
sind. Dass wir mehr sind als das, was wir uns selbst zu geben vermögen. Das
Warten und Hoffen zeigt uns immer wieder, dass uns Wesentliches geschenkt
werden muss.
Advent bedeutet, dass nicht nur wir auf das Kommen Gottes warten. Gott
wartet auch auf uns. Wir werden erwartet! Gerade jetzt und jeder Zeit!
Wir sind eingeladen, uns als Erwartete erwünscht und wertvoll zu fühlen.
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Hauptbahnhof Zürich
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