Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 4. November 2021
Beim Wohnen erwischt
«manchmal HAB ICH mich vermisst oft haben MICH DIE fremdesten MÖBEL IM ABTEIL DES ZUGES
unverhofft beim Wohnen erwischt»
Dieser Satz stammt von der Autorin Herta Müller. Seit Jahren stellt sie mit
Wortschnippseln, die sie aus Zeitschriften ausschneidet, kurze Textcollagen im
Postkartenformat her. 140 solcher Miniaturen sind noch bis am 5. Dezember im Museum
Langmatt in Baden zu sehen.
Der Schriftstellerin gelingt es immer wieder, menschliches Erleben, innere
Befindlichkeiten in Sprachbilder zu fassen, wo Sprache eigentlich an Grenzen stösst.
Wie spricht man vom Gefühl der Fremdheit? Müller tut es in dem oben zitierten Bild: Möbel
in einem Zugabteil werden zum vorläufigen Wohnort. Man geht sich selbst ein Stück weit
verloren und vermisst sich.
Fremdsein ist eine prägende Erfahrung im Leben der Autorin. Sie gehörte in Rumänien zur
deutschsprachigen Minderheit und wurde vom kommunistischen Regime drangsaliert. Dann
flüchtete sie nach Deutschland und war auch dort eine Fremde, die im Verdacht stand, eine
rumänische Agentin zu sein.
Aber Auswanderung oder Flucht sind Erfahrungen, die Millionen von Menschen kennen.
Allein in den letzten paar Wochen habe ich hier im Hauptbahnhof Zürich Personen aus
Kosovo, Serbien, Vietnam, Kongo, Singapur, Sri Lanka und Deutschland getroffen. Sie
arbeiten im HB, leben in der Schweiz oder suchen in diesem Land eine bessere Zukunft.
Manchmal - kann ich mir vorstellen - erwischen die fremden Bahnhofmöbel sie auch beim
Wohnen...
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
Foto: Peggy_Marco, Pixabay.
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