Weg-Wort vom 10. Januar 2008
Brachzeit
Alles was vergangen ist, alles was gegenwärtig ist,
alles was zukünftig ist, das erschafft Gott im Innersten der Seele. (Meister
Eckhart)
Kahl und kalt ist es draussen. Der Hochnebel verdeckt die Sonne, die
flammenden Farben des Herbstes sind verloren, der Winter regiert in grau und
schwarz. Tag reiht sich an Tag, Alltag eben. Das Leben gleitet dahin.
Draussen verändert sich kaum etwas. Es ist Brachzeit. Zusammengefaltet in
schüt-zenden Hüllen geborgen, harren die Knospen an den Zweigen. Noch sind
sie Verheissung einer fernen Fülle. Die Natur ruht. Doch die Pflanzen sind
bereit, um aufzubrechen, wenn es Zeit wird.
Brachzeiten erleben auch wir. Tage, Wochen, Jahre in denen sich kaum et-was
verändert. Wir tun was uns aufgetragen ist, erfüllen unsere Pflicht. Wir
arbei-ten, ziehen Kinder gross, pflegen Eltern.
Doch wer ab und zu in sich hört, nimmt wahr woher die Freude kommt. In der
Seele beginnt die Sehnsucht neue Knospen zu formen. Auch in der Brachzeit
gilt es diese zu wässern, damit sie nicht verdorren. Denn sie möchten
aufblühen und Fülle in unser Leben bringen, sobald die Zeit reif ist.
Es ist ein grosser Verlust, wenn wir Pläne, Wünsche, Begeisterung
unbeach-tet lassen oder gar begraben. Denn sie sind es, die uns lebendig
erhalten. Letzthin hörte ich von einer Bekannten, die nach ihrer
Pensionierung noch lernte Saxophon zu spielen. Heute jazzt sie mit andern
zusammen. Ihren Wunsch hat sie über De-kaden erhalten, ohne konkrete
Aussicht ihn umsetzen zu können. Dann als sie frei war, hat sie ihn
verwirklicht. Nun erlebt sie mit andern erfüllte und schwungvolle Stunden.
Manchmal dauert es lange, bis sich die innersten Seelenwünsche in der
Wirklichkeit spiegeln. Sie bescheren uns das Gefühl, am Leben teilzunehmen.
Dar-um sind sie ein Geschenk Gottes. Wer kann es sich leisten, dieses
Geschenk zurückzuweisen?
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Hauptbahnhof Zürich
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Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche