Weg-Wort vom 1. Mai 2013
Segen und Fluch der Arbeit
Als pensionierter Theologe und Seelsorger kann ich den Tag der Arbeit locker
in Angriff nehmen. Ich habe meine Lebensarbeitszeit erfüllt und als
Teilzeit-Hausmann und Sekretär meiner Frau eine unbezahlte und unkündbare
Anstellung. Daneben kann ich meine Einsätze als Berater und Seelsorger frei
bestimmen. Ich gehöre zu den Privilegierten, für die die Arbeit mehr Lust
als Last ist.
Auf dem Weg zur Bahnhofkirche begegne ich den Menschen, denen schon am
Morgen auf ihren übermüdeten und gestressten Gesichtern die Last der Arbeit
abzulesen ist, die nach dem Bibelwort das Brot im Schweiss ihres Angesichts
essen müssen.
Im Gespräch begegne ich Arbeitslosen und Stellensuchenden, die unter ihrer
erzwungenen Untätigkeit seelisch und materiell leiden, die sich nach einer
Berufstätigkeit sehnen. Vor den Einkaufszentren sehe ich Asylsuchende
stehen, die wohl lieber arbeiten würden als mit mässigem Erfolg das
Strassenmagazin Surprise anzubieten.
Ich denke an die Working Poor auch in unserem Hochpreis- und Hochlohn-Land,
die trotz Arbeit und Doppelverdienst auf keinen grünen Zweig kommen. Nicht
zu reden von den Menschen in den Niedriglohn-Ländern.
Für die Menschen, die unter dem Joch der Arbeit stehen und leiden, ist der
1. Mai in unserem Land ein verdienter Ruhetag. Für die Freischaffenden und
Pensionierten ein Tag der Besinnung über den Segen und Fluch der Arbeit.
Er regt uns an zum Nachdenken über unsere persönliche Work-Life Balance, wie
wir den lebensnotwendigen Ausgleich zwischen Arbeit, Freizeit und Familie
finden können. Und zum Nachdenken über die politischen und wirtschaftlichen
Herausforderungen im Bereich von Arbeit und Lohn.
Der 1. Mai ist eine Einladung dazu.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
© Ökumenische Bahnhofkirche im Hauptbahnhof Zürich
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