Weg-Wort vom 7. April 2006
Gelegentlich im Regen stehen
In diesen Tagen erleben wir es wieder einmal überdeutlich, dass Sonne und
Regen, Wärme und Kälte das Wetter ausmachen, manchmal in schneller Folge.
Ähnlich ist es mit uns selbst: Freude und Leid, Scheitern und Gelingen,
Schwächen und Stärken machen unser Leben aus oft genauso in schneller
Folge.
Wir lieben es allerdings nicht, in der Kälte oder im Regen zu stehen. Wir
haben so unsere Mühe, zu unsern Schwächen und Fehlern zu stehen. Und so
geben wir uns grosse Mühe, sie zu vermeiden, oder, wenn es denn nicht anders
geht, sie wenigstens vor den andern zu verbergen. Wir möchten ja vor ihnen
gut da stehen, von ihnen anerkannt und geschätzt sein.
Genau das wollte die junge Frau auch. Als Kind hatte sie gelernt, dass sie
jemand ist, wenn sie alles gut, ordentlich und richtig macht. Im Beruf war
sie eine äusserst korrekte, zuverlässige und geschätzte Mitarbeiterin. Aber
sie spürte, dass sie nicht beliebt war, wie sie es sich eigentlich ersehnte.
Sie konnte nicht verstehen, dass sie mit dem alles gut und richtig machen
und dem es allen recht machen ihre Menschlichkeit verraten hatte.
Gelegentlich im Regen stehen das macht uns menschlich. Das erhält uns
lebendig. Denn gerade auch unsere Verletzlichkeit, unsere Bedürftigkeit und
unsere Fehler machen uns besonders und einzigartig. Wenn wir unsere
Schwächen und unser Versagen uns selbst und den andern zumuten, wenn wir
bereit sind, Hilfe anzunehmen, erfahren wir vielleicht gerade die tiefe
Menschlichkeit und wahre Wertschätzung, nach der wir uns so sehr sehnen.
Jesus hat die frohe Botschaft gebracht von einem Gott, der vorbehaltlos
liebt. Gott liebt nicht trotzdem er liebt! Er liebt uns nicht trotz
unseres Ver-sagens. Er liebt umfassend, bedingungslos, aus freien Stücken,
als Geschenk. Seine Liebe schliesst alles mit ein, auch unsere
Schattenseiten, wie schwierig, peinlich, hässlich oder banal sie auch sind.
Nichts an uns ist ihr fremd und unbedeutend. Kein Verhalten macht sie
kleiner oder grösser.
Wer sich dieser Liebe aussetzt, vermag getrost gelegentlich im Regen stehen.
© Bahnhofkirche
Hauptbahnhof Zürich
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Hans-Ruedi Rüfenacht
Evangelisch-reformierte und Römisch-katholische Kirche
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