Weg-Wort vom 22. April 2010
Aufrecht gehen sollt ihr
Dort, wo ich aufgewachsen bin, hat meine Grossmutter ihren Garten gehabt.
Sie war eine Bauernfrau, die einfach gartnen musste. Für sie bedeutete dies
Leben. Gebückt ging sie jeweils ihren Weg, und wenn es nötig war, tat sie
ihre Gartenarbeit auf den Knien. Durch ihren gekrümmten Rücken wurde sie
immer kleiner, fast so klein, wie ihr Gartennachbar, der am Stock ging und
den Oberkörper nur noch waagrecht halten konnte, so dass er seinen Kopf
jeweils fest nach links drehen musste, um mir, dem Jugendlichen, beim
Grüssen in die Augen schauen zu können. Beides waren eifrige Gärtner. Wenn
ich an Sie zurückdenke, an ihre faltigen Gesichter, an die abgearbeiteten
Hände und an die feinen Erdbeeren, die ich als Lohn ihrer Arbeit geniessen
durfte, dann wirds mir warm. Ich denke an sie als Menschen, die aufrecht
und aufrichtig sich durchs Leben arbeiteten, nicht verschont von Not, von
harter Arbeit, von Entbehrung. Der Zuspruch Gottes, die Seligpreisungen,
galt sicher auch ihnen, den Gebeugten:
Leute, rief er, Gott will den aufrechten Gang
Aufrecht gehen sollt ihr, wenn ihr bettelt nach dem lebendigen Geist, der
heiligen Phantasie Gottes. Euch gehört die höchste Würde.
Aufrecht gehen sollt Ihr, wenn Ihr von Angst niedergedrückt seid.
Ihr werdet aufgerichtet.
Aufrecht gehen sollt ihr, wenn ihr Gewalt ablehnt.
Euch gehört die Erde.
Aufrecht gehen sollt ihr, wenn ihr hungert und dürstet nach Gerechtigkeit in
dieser Welt.
Euch ist ein Festmahl bereitet.
Aufrecht gehen sollt ihr, wenn ihr das Leiden der Menschen nicht aushaltet
und euch dagegen wehrt.
Euch gehört die Zuwendung aller.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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