Liebe Filmfreundinnen und Filmfreunde
Es herbstelt! Morgens wabern bereits wieder Nebelschwaden über den
Gewässern und feuchten Wiesen, erste Kastanien liegen auf den Wegen und
im Wald spriessen schon Pilze. Bis jetzt darf man getrost von einem
goldenen Herbst sprechen, wenn nicht von einem goldenen Spätsommer. Wer
jetzt bei uns durch die Natur marschiert, denkt nicht an Klimakrise,
Ukrainekrieg oder Strommangellage - alles scheint üppig und friedlich,
besagte Probleme nicht von dieser Welt...
Auch in unserem Film des Monats September, «Jill», scheint der Rückzug
in die Natur die einzige Möglichkeit, dem Druck und den Ansprüchen der
Gesellschaft zu entkommen. Doch schnell zeigt sich, dass die
Aussteigerfamilie im Wald nicht den Gefahren der Umwelt entkommt,
sondern direkt auf eine viel grössere Bedrohung zuläuft...
Der schweizerisch-amerikanische Regisseur Steven Michael Hayes
dekonstruiert in «Jill» genüsslich das Familien-Idyll und verwandelt den
Traum von einem besseren Leben fernab der Zivilisation retrospektiv in
eine dystopische Alltagsvision einer geprägten jungen Frau. In einer
Welt voller Parallelgesellschaften und reaktionärer Familienbilder ein
wichtiger Beitrag.
Wir grüssen herzlich
Eva Meienberg und Natalie Fritz
FILM DES MONATS SEPTEMBER
September 2022
JILL
EINE FAMILIE ZIEHT ENDE DER 70ER JAHRE IN DIE WÄLDER NORDAMERIKAS.
FERNAB DER ZIVILISATION LEBT SIE EIN LEBEN OHNE GESELLSCHAFTLICHE
ZWÄNGE. DOCH DIE IDYLLE BEKOMMT RASCH RISSE, MUSS DIE FAMILIE DOCH NICHT
VOR ÄUSSEREN, SONDERN INNEREN GEFAHREN GESCHÜTZT WERDEN...
Ende der 70er-Jahre ziehen sich Ted und Joann zusammen mit ihren fünf
Kindern in die tiefen Wälder Nordamerikas zurück. Die Aussteiger möchten
ihr Leben frei gestalten - fern der politischen und gesellschaftlichen
Zwänge jener Zeit. Doch als der älteste Sohn bald darauf dem
Selbstversorger-Traum den Rücken kehrt, um ans College zu gehen, bekommt
die Idylle erste Risse.
Einige Familienmitglieder hinterfragen zunehmend die Handlungen des
Vaters, der notfalls mit Gewalt an seiner Vorstellung von absoluter
Freiheit festhält. Inmitten dieses Konflikts steht die Jüngste von ihnen
- Tochter Jill. Sie versucht in der Gegenwart zu verstehen, was damals
genau geschehen ist und warum einer ihrer Brüder heute im Gefängnis
sitzt.
Der schweizerisch-amerikanische Regisseur Steven Michael Hayes wuchs in
Zürich auf und studierte Film an der ZHdK. In seinem erschütternden
Debütfilm zeigt er, wie sich elterlicher Egoismus und der Wunsch nach
Selbstverwirklichung auf die Kinder auswirkt, die die Folgen dieser
Entscheidungen zu tragen haben.
«Jill» ist ein «Slowburner», der erst allmählich und mit der zunehmenden
Paranoia des Vaters seine ganze emotionale Wucht entfaltet. Die bittere
Ironie des Films liegt darin, dass die eigentliche Gefahr, vor der Ted
seine Familie schützen will, von seiner eigenen kranken Psyche ausgeht.
Auch visuell ist der Spielfilm eindrücklich. So wurden die wunderbaren
Naturaufnahmen, die eine Landschaft an der Grenze zu Kanada vorgeben, im
Jura gedreht.
Sarah Stutte, Filmjournalistin
«Jill», Schweiz 2021, Regie: Steven Michael Hayes, Besetzung: Tom
Pelphrey, Juliet Rylance, Dree Hemingway, Verleih: Frenetic Films,
www.frenetic.ch
Kinostart: 15. September 2022
https://www.youtube.com/watch?v=knuj6fpHbKY
https://www.medientipp.ch/events/jill/