Weg-Wort vom 11. März 2010
Die ganze Wahrheit
Will ich immer und in jedem Fall die unge-
schminkte Wahrheit wissen? Eigentlich schon. Denn mit der Wahrheit lebt es
sich leichter, glaube ich zumindest. Da kommt aber auch schon gleich die
nächste Frage hoch, nämlich, ob ich die Wahrheit immer und in jedem Fall
ertragen kann. Wie ich also mit der ganzen Wahrheit überhaupt zurechtkomme.
Ist sie häppchenweise vielleicht doch verdaulicher?
Die Wahrheit kann einem nämlich wie ein nasser Waschlappen ins Gesicht
geschleudert werden. Sie kann aber auch wie ein weiter, wärmender Mantel
daher kommen, in den ich schlüpfen kann. Bin ich also tatsächlich bereit für
die Wahrheit?
Die folgende Geschichte ist eine mögliche Antwort:
Ein Mensch konnte kaum seinen Augen trauen, als er den Namen des Ladens sah:
Wahrheitsladen. Dort wurde Wahrheit verkauft. Der Mensch betrat den Laden.
Die Verkäuferin fragte höflich. Welche Art Wahrheit wollen Sie kaufen,
Teilwahrheiten oder die ganze Wahrheit? Natürlich die ganze Wahrheit! Der
Mensch wollte seine Wahrheit schlicht und klar und ungeteilt. Die
Verkäuferin winkte ihn in eine andere Abteilung des Ladens, wo die ganze
Wahrheit verkauft wurde. Dort sah der Verkäufer den Kunden mitleidig an und
sagte: Der Preis ist sehr hoch, Sir. Wieviel? fragte dieser. Er war
entschlossen, die ganze Wahrheit zu erwerben, egal, was sie kostete. Wenn
Sie diese hier nehmen, sagte er, bezahlen Sie mit dem Verlust Ihrer Ruhe
und Gelassenheit, und zwar für den Rest Ihres Lebens.
Traurig verliess der Mensch den Laden. Er hatte gedacht, er könne die ganze
Wahrheit billig bekommen. Er war noch nicht bereit für die Wahrheit. Immer
wieder sehnte er sich nach Ruhe und Frieden und versteckte sich hinter
seinen fixen Anschauungen.
Wenn wir begreifen, dass unsere Anschauungen eine Möglichkeit, aber nicht
die letztgültige Wahrheit sind, dann werden wir auch mit der Wahrheit besser
leben können und müssen uns nicht mehr ständig rechtfertigen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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Weg-Wort vom 10. März 2010
Armutszeugnis
Dene wos guet geit drum geit weni
giengs besser für dass es dene
giengs dene besser besser geit
wos weniger guet geit wos weniger guet geit
was aber nid geit und drum geits o
ohne dasss dene dene nid besser
weniger guet geit wos guet geit"
wos guet geit
Dem unvergessenen Mani Matter gelang es immer, in seinen einzigartigen
Liedern komplexe Zusammenhänge so einfach auszudrücken, dass er von allen
Leuten verstanden wurde.
Auf gut berndütsch sagt er, dass denjenigen, denen es gut geht, besser
ginge, wenn es allen andern auch so gut ginge wie ihnen selbst. Dann hätten
sie keinerlei Gewissensbisse, denn ein gutes Gewissen ist ein sanftes
Ruhekissen, besagt ein gängiges Sprichwort. Vorausgesetzt natürlich, man
macht sich überhaupt ein Gewissen. Für mich sehe ich es so: Nicht alles, was
ich habe, ist das Ergebnis meiner eigenen Anstrengungen, das heisst, ich
habe nicht alles mir selber zu verdanken: das Dach über dem Kopf, Besitz,
Erfolg, Glück. Andere Menschen haben massgeblichen Anteil daran.
In der diesjährigen Fastenopfer Agenda finde ich zum heutigen Tag das
folgende
Sprichwort aus Ghana: Wäscht die rechte Hand die linke, muss auch die linke
die rechte waschen. Wir sagen eine Hand wäscht die andere. Das ist
eigentlich ganz plausibel, denn zum Hände waschen brauche ich sowohl meine
linke als auch meine rechte Hand; dann sind am Ende beide Hände gewaschen.
Ein Sprichwort bringt also mit wenigen Worten den Sachverhalt auf den Punkt.
Ohne Umschweife konfrontiert es uns aber auch: Wir waschen oft einhändig!
Die Menschen im Süden arbeiten vor allem für den reichen Norden. Es sollte
aber ein gegenseitiges Geben und Nehmen sein statt einseitiger Profit der
einen auf Kosten der andern. Das gemeinsame Ziel kann deshalb nur heissen:
Gerechte Preise für die Früchte der Arbeit, also gerechterer Handel zwischen
Europa und den Ländern des Südens. Wir haben es in der Hand, mit unserem
Einkaufs- und Konsumverhalten mitzubestimmen und hinzuarbeiten auf faire
Handelsstrukturen. Mir geht es nämlich besser, wenn es denen besser geht,
denen es nicht so gut geht. Auch wenn ich dafür ein paar Abstriche bei
meinem Leben machen muss.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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Weg-Wort vom 5. März 2010
Alles, was Atem hat, lobe den Herrn!
Halleluja! Lobt Gott in seinem Heiligtum, lobt ihn, den Mächtigen im
Himmel!
Lobt ihn für seine grossen Taten, lobt ihn in seiner gewaltigen Grösse!
Lobt ihn mit dem Schall der Posaune, lobt ihn mit Harfe und Zither!
Lobt ihn mit Pauken und Tanz, lobt ihn mit Flöten und Saitenspiel!
Alles, was atmet hat, lobe den Herrn! Halleluja! (aus Ps 150)
Ich frage mich: Wer lobt Gott noch mit solchen Worten angesichts der
jüngsten Katastrophen in Haiti und Chile und all des Elends in der Welt?
Vielleicht hatte der Psalmist zu seiner Zeit gerade allen Grund dazu,
vielleicht hatte er eine Glückssträhne und war im Freudentaumel und schrieb
das Gott zu.
Aber jetzt und heute? Jawohl, genau heute besingen in über 170 Ländern auf
der ganzen Welt Frauen und auch Männer mit den Worten des Psalm 150 die
Grösse Gottes.
Jeweils am ersten Freitag im März findet nämlich der christliche
Gottesdienst zum Weltgebetstag statt. Dieser ist eine
gewachsene ökumenische Bewegung, die über konfessionelle Abgrenzungen hinweg
Menschen durch die Feier eines Gottesdienstes im gemeinsamen Gebet
verbindet. So entsteht
weltweite Solidarität. Die Liturgie dazu verfassen jeweils Frauen eines
Landes. In diesem Jahr haben sich 50 Frauen aus den verschiedenen Regionen
Kameruns und aus elf unterschied-
lichen, englisch- und französischsprachigen Kirchen beteiligt. Mit dem Thema
Alles, was Atem hat, lobe den Herrn drücken sie in vielen Bildern, Liedern
und Texten ihr Gotteslob aus.
Sie tun dies mit einer Selbstverständlichkeit, die erstaunt, da viele
Probleme im Alltag ihre Lebenssituation schwierig machen. Umso mehr danken
sie dafür, dass die verschiedenen Bevölkerungsgruppen friedlich
zusammenleben. Dass ihr Land vielfältig, schön und fruchtbar ist. Dass für
sie das Leben selbst das grösste Geschenk unseres Schöpfers ist. Sie sehen
und benennen aber auch Konflikte, Gewalt, Missbrauch, Korruption,
Perspektivlosigkeit für junge Menschen und den Kampf ums tägliche
Ueberleben. In dieser Situation sind Beten und Handeln notwendig. Das machen
die Frauen aus Kamerun mit ihrem Engagement und ihrer Liturgie deutlich.
Beim Beten sind wir online mit Gott; es entsteht quasi eine vertikale
Kraftquelle. Diese Kraft motiviert zum Handeln. Handeln aber heisst
aufstehen, mich bewegen, damit etwas in Bewegung kommt; mich einsetzen,
anstatt die Hände in den Schoss zu legen; selber anpacken, anstatt nur zu
jammern. Das tun die Frauen aus Kamerun, und das gilt gleichermassen für uns
hier in der Schweiz wie für unsere Mitmenschen irgendwo auf der Welt. Die
Menschen in Haiti schöpfen Hoffnung trotz des Grauens und packen mit an. Für
uns, für Sie und mich, heisst das, beten und zupacken da, wo wir gerade
stehen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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Weg-Wort vom 4. Mä$rz 2010
Cero Coca
Es geht hier nicht um Cola Zero, das mit viel Werbeaufwand als Alternative
zum vollsüssen Cola angepriesen wird. Ja nur keine Einbusse an Genuss, weil
Genuss alles ist. Eine echte Alternative wäre Hahnenwasser ein Getränk,
das reeller, gesünder, günstiger und trendiger ist als alle künstlichen
Alternativen. Nein, darum geht es wirklich nicht, sondern um ehemalige
Kokain-Bauern in Bolivien, die sich durchgerungen haben mit dem Anbau von
Coca aufzuhören. Sie verzichten damit auf leichtes Geld. Einer meint dazu:
Die Versuchung ist immer noch gross, in das Geschäft mit der Coca
einzusteigen, legal oder illegal ... Dann würde ich ein grosses Auto
fahren, und ich könnte meine Kinder in eine Privatschule schicken. Aber die
Coca bringt kein Glück. Sie macht den Boden und die Gesellschaft kaputt. Die
anständigen Leute zeigen mit dem Finger auf dich. Du bist nicht mehr frei,
hast immer Angst vor der Polizei. (Fastenopfer-Bfa-Agenda, 1./2. März)
Diese Bauern haben eine Alternative gefunden: Stevia, ein Süsskraut. Die
Produktion läuft, aber der Absatzmarkt muss aufgebaut werden.
Bauern in Bolivien verzichten auf leichtes Geld und wir hier in Europa, in
der Schweiz? Sind wir dazu auch bereit, in unsern Ansprüchen, in unserm
Konsum, in unserer Gier zu verzichten und nach Alternativen Ausschau zu
halten.
Mitten in der Passionszeit könnten wir es doch austesten, was an Qualität
wir mit einem Wechsel von Lebensgewohnheiten neu entdecken könnten.
Bauern in Bolivien haben eingesehen, dass der Anbau von Coca letztlich auch
sie selbst zerstört. Wann sehen wir hier ein, dass die Konzentration auf
leichten Gewinn, auf überhöhtes Salär, auf totalen Konsum uns letztlich nur
schadet.
Wann sehen wir das ein? Erst dann, wenn es für die Menschen auf der
Schattenseite des Lebens oder für die Natur zu spät ist. Probieren Sie es
doch aus. Einen Ausbruch aus der Gewohnheit, eine Umstellung, ein Verzicht
da ist nicht nur Abschied drin, sondern auch Entdeckung neuer Welten.
Probieren Sie es aus.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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