Liebe Filmfreundinnen und Filmfreunde
Mitte Juli wurde bekannt, dass drei der wohl wichtigsten,
zeitgenössischen Regisseure des Iran, Mohammad Rasoulof («There Is No
Evil»), Mostafa Al-Ahmad und Jafar Panahi («Taxi Teheran»), von der
Polizei in Gewahrsam genommen worden waren. Die Justizbehörde liess
verlauten, dass ihr Aufruf GEGEN Gewalt, die öffentliche Ordnung
gefährde. Rasoulof und Al-Ahmad hatten gegen die Verhaftungen
protestiert, die auf die Demonstrationen nach einem Gebäudeeinsturz mit
über vierzig Toten folgten. Vertreter*innen der iranischen Filmindustrie
forderten mit dem Hashtag «Put your gun down» ein Ende der
Polizeigewalt. Auch Panahi hatte sich mit den Initianten solidarisiert.
Zum Glück sind aber nicht alle kritischen iranischen Filmemacher in
Polizeigewahrsam!
Unser Film des Monats August ist nämlich das Werk von Jafar Panahis
Sohn, Panah. In «Hit the Road» gelingt es ihm meisterlich, genau diesen
kontrollierten iranischen Alltag, wo jedes kritische Wort das letzte
gewesen sein kann, mit Bildern und Dialogen einzufangen. Andeuten aber
nicht aussprechen, mit Galgenhumor ausharren oder todtraurig gehen -
Aspekte eines Lebens, dass rund um die Uhr reguliert wird. Eindringlich,
wie die Familie in «Hit the Road» und die Kulturschaffenden im Iran sich
kleine Freiheiten herausnehmen, sich resilient zeigen - auch auf die
Gefahr hin, dass die Konsequenzen nicht lange auf sich warten lassen
werden.
«Hit the Road» bedeutet 95 Minuten lang Menschlichkeit und Widerstand!
In diesem Sinne wünschen wir Ihnen einen wunderschönen und auch etwas
sperrigen August,
Eva Meienberg und Natalie Fritz
FILM DES MONATS AUGUST
August 2022
HIT THE ROAD
EINE IRANISCHE FAMILIE FÄHRT GEHETZT DURCHS LAND. WO WILL SIE HIN UND
WARUM? PANAH PANAHIS DEBÜTFILM ENTFÜHRT UNS IN DIE IRANISCHE
LEBENSREALITÄT, WO NICHTS IST, WIE ES SCHEINT, WEIL EINEM ALLES
GEFÄHRLICH WERDEN KANN. EIN KLEINES MEISTERWERK DER TRAGIKOMIK
Ein SUV steht mitten im kargen Nirgendwo. Als ein Mobiltelefon surrt,
schreckt die Frau auf dem Beifahrersitz auf. Der Ursprung des Geräuschs
ist rasch gefunden: die Unterhose des kleinen Jungen. Der Mann, der
neben dem Kleinen auf dem Rücksitz gedöst hat, fischt es raus. Die Frau
zerschneidet die Sim-Karte und vergräbt das Gerät am Strassenrand.
Zurück im Auto geht die Reise weiter.
Es ist eine Familie, die im Innenraum des SUVs sitzt und durch die
iranische Landschaft fährt. Mutter, Vater, grosser und kleiner Bruder.
Wohin sie wollen und weshalb bleibt lange unklar. Die Atmosphäre ist
angespannt. Ein Abschied ist der Grund für die Reise. Für immer? Wer
weiss! Jedenfalls muss Farid, der ältere Sohn, eiligst zur Grenze und
ausser Landes, sonst...
Panah Panahis Debütfilm erklärt nicht, weshalb der junge Mann den Iran
verlassen muss. Klar ist nur, dass die Familie ihre gesamte Habe
veräussert hat, um ihn in Sicherheit zu bringen.
Das tragikomische Roadmovie «Hit the Road» ermöglicht Einblicke in den
Alltag einer Familie, die in einem Land lebt, wo die Wahrheit oder leise
Kritik einen ins Gefängnis bringen können. Panahi weiss das aus eigener
Erfahrung: sein Vater, der Regisseur Jafar Panahi, wurde 2010 mit einem
20-jährigen Berufsverbot belegt.
«Hit the Road» von Panahi Junior ist ein humanistisches Meisterwerk, das
die Surrealität der Situation ebenso gekonnt in Bilder und Dialoge
übersetzt, wie es die politische Brisanz und die innige Verbindung
zwischen den Familienmitgliedern aufzeigt.
Natalie Fritz, Religionswissenschaftlerin und Redaktorin Medientipp
«Hit the Road», Iran 2021; Regie: Panah Panahi; ProtagonistInnen: Pantea
Panahiha, Hassan Madjooni, Rayan Sarlak; Verleih: Filmcoopi,
https://www.filmcoopi.ch/movie/hit-the-road
Ab 11. August 2022 im Kino
https://www.youtube.com/watch?v=p6oUa6O8wK8
https://www.medientipp.ch/events/hit-the-road/