Liebe Filmfreundinnen und *Filmfreunde
Zeigen, was man sonst nicht sieht, hinschauen, wo niemand freiwillig
hinsiehtv- für Filmemacher*innen mit einem ausgeprägt sozialkritischen
Zugang wie etwa Andrea Arnold oder die Gebrüder Dardennes ist das eine
zentraler Aspekt ihrer Arbeit. Ihre Filme lassen das Kinopublikum in
Milieus eintauchen, die es meist nur aus den Medien kennt. Dadurch
sensibilisieren sie die Zuschauer*innen für gesellschaftliche Probleme
und geben Menschen eine Stimme, die sonst nicht gehört würden.
Doch der Einblick in die Leben von arbeitslosen Alleinerziehenden,
minderjährigen Asylsuchenden oder Alkoholabhängigen ist ein Balanceakt:
was soll und muss man zeigen, um aufzurütteln, was lässt man weg, um die
Würde besagter Menschen nicht zu verletzen? Wo hört das kritische
Aufzeigen auf und beginnt der platte Voyeurismus? In «Les pires» von
Lise Akoka und Romane Guerets geht es genau um diese Gratwanderung, mit
der sich jede*r Filmemacher*in auseinandersetzen muss, die*der in diesem
Bereich tätig ist. In einem Problemviertel in Nordfrankreich sucht ein
Regisseur Kinderdarsteller für ein Sozialdrama. Er sucht gezielt nach
denjenigen, mit der schlimmsten Biografie - den «pires» eben.
Akokas und Guerets Film entwickelt einen unglaublichen Sog, dem man sich
nicht entziehen kann. Die Figuren sind komplex und glaubwürdig, ethische
Fragen werden auf unterschiedlichen Ebenen durchdekliniert und zum
Schluss dann die erlösenden Tränen...
Nicht nur emotional eine Wucht von Film!
Herzlich grüssend,
Sarah Stutte und Natalie Fritz
FILM DES MONATS MAI
Mai 2023
LES PIRES
Eine Filmcrew will in einem Problemviertel Nordfrankreichs ein
Sozialdrama drehen. Zunehmend vermischen sich die Ebenen und werden
Grenzen überschritten. Lise Akoka und Romane Gueret haben mit «Les
pires» einen unglaublich dichten, einfühlsamen und zugleich kritischen
Film über das Filmen gedreht.
Gabriel, ein spätberufener Regisseur, möchte im Problemviertel Cité
Picasso in Boulogne-sur-Mer einen Spielfilm drehen. Weil er
grösstmögliche Authentizität für sein Sozialdrama sucht, ist er hierhin,
in den Norden Frankreichs, gereist und hat beim Casting die Kinder
ausgesucht, die ihm am vielversprechendsten, also am schwierigsten
erschienen. Die vier Halbwüchsigen Lily, Ryan, Maylis und Jessy sind
alle in keinem einfachen Umfeld gross geworden und kämpfen mit ihren
Problemen.
Lily vermisst ihren kleinen Bruder, der an Krebs verstorben ist und
versucht diese Lücke mit Liebeleien zu füllen. Jessy gibt den coolen
Macker, verdeckt damit aber tiefliegende Traumata. Ryan kann seine
Emotionen nur schwer kontrollieren und lebt bei der Schwester, weil die
Mutter psychisch labil ist. Nur Maylis lässt sich vom Film-Team und der
Vorstellung von Ruhm und Geld nicht blenden. Sie bleibt wortkarg und
springt vom Projekt ab, als Regisseur Gabriel - im Dienste der
Dringlichkeit seines Films - die Grenzen des Verantwortbaren übertritt.
Lise Akoka und Romane Guerets «Les pires» ist ein unglaublicher Film!
Die beiden jungen Regisseurinnen zeigen anhand des fiktiven Filmprojekts
auf, wie schmal der Grat zwischen Ausbeutung und sozialem Engagement ist
und wie leicht man Vorurteile nicht nur aufnimmt, sondern sogar
untermauert. Die Kinderdarstellerinnen und -darsteller sind allesamt
Laien und grossartig: sie verleihen ihren Figuren Glaubwürdigkeit und
Tiefe. Eine Wucht von einem Film!
Natalie Fritz, Religionswissenschaftlerin und Redaktorin Medientipp
«Les pires», Frankreich 2022; Regie: Lise Akoka und Romane Gueret;
ProtagonistInnen: Mallory Wanecque, Timéo Mahaut, Mélina Vanderplancke;
Verleih: Outside the Box; Homepage:
https://www.outside-thebox.ch;
Filmseite:
https://www.outside-thebox.ch/de/les-pires/
Ab 18. Mai im Kino
https://www.youtube.com/watch?v=Q1ij-DvwhlQ
https://www.medientipp.ch/events/les-pires/