Weg-Wort vom 8. Februar 2011
Wenn Zweifel nagen
Glauben Sie alles, was man Ihnen erzählt oder was die Medien berichten?
Täte man nicht gut daran, manche Aussagen mit Vorsicht zu geniessen? Zweifel
an der Richtigkeit eines Sachverhaltes oder Tatbestandes sind oftmals
durchaus angebracht. Wir müssen nicht einfach alles in gutem Glauben
unbesehen übernehmen. Was aber sollen oder können wir glauben?
Dazu eine Anekdote: Ein ortsbekannter Zweifler kniet in der Kirchenbank. Der
Nachbar spricht ihn an: Ich denke, du glaubst nicht an Gott? Freilich
nicht, antwortet der Gast. Aber weiss ich, ob ich recht habe?
In der Tat ist es mit dem Glauben so eine Sache. Vor allem, wenn es dabei um
den Glauben an etwas geht, das nicht sinnenfällig ist. Also etwas, das ich
nicht sehen, riechen, hören, schmecken oder ertasten kann. Da sagen
wir schnell einmal: Wenn ich das glauben soll, musst du es mir beweisen
können!
Sind wir deswegen alle ein ungläubiger Thomas? Und überhaupt: War Thomas
deshalb ein Ungläubiger, weil er von Jesus einen sichtbaren und greifbaren
Beweis verlangte? (Johannes 20,25) Würden Sie sich selber als
ungläubig bezeichnen, weil Sie manches in Zweifel ziehen? Es gibt doch wohl
nichts, das über jeden Zweifel erhaben wäre.
Als man nach dem Tod von Mutter Teresa ihr Tagebuch fand, in welchem sie in
ihren dunklen Stunden nicht nur Glaubens-, sondern sogar Gotteszweifel
niederschrieb, zweifelten Einige die Echtheit des Tagebuchs an. Das kann
doch nicht wahr sein, sagten sie. Warum wohl? Es hätte ihren eigenen Glauben
erschüttert.
Ob ich denn nie Zweifel hätte in meinem Glauben, wurde ich schon öfters
gefragt. Oh doch, die habe ich! Aber ich betrachte sie als äusserst
hilfreich, um mich nicht in einem Schlaf der Sicherheit bequem
einzurichten. Meine Zweifel halten mich wach, lassen mich immer wieder
suchen und finden. Sie stehen meinem Glauben nicht im Weg, sondern sie
gehören zu ihm.
Ich glaube! Hilf meinem Unglauben. ( Mk 9,24)
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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www.bahnhofkirche.ch
Weg-Wort vom 4. Februar 2011
Wo ist hier der Noteingang?
Ob im Kino oder in der Disco, im Stadion oder im Konzertsaal, an jedem
dieser Orte finden wir die grün leuchtenden Kästchen über den Türen mit der
Aufschrift EXIT. Einerseits bin ich beruhigt, wenn ich dieses Grün sehe.
Anderseits beschleicht mich oft ein mulmiges Gefühl. Was, wenn die Türen
verschlossen wären, so dass im Notfall die rettende Flucht ins Freie
unmöglich wäre? Ich sässe vielleicht in einer tödlichen Falle.
Es gibt aber auch das umgekehrte Zeichen: NOTEINGANG. Was bietet ein
Noteingang, und wer braucht unbedingt einen, abgesehen von einem
notfallmässigen Spitaleintritt?
In unserem Land gibt es viele verschiedene Institutionen, welche Menschen in
einer schwierigen, oft lebensbedrohlichen Lage Zuflucht bieten. Früher
bezeichnete man solche Häuser als Asyl. Das Wort Asyl bedeutet sicher,
unberaubt. Es ist somit ein Zufluchtsort für Verfolgte, wo man vor
Angriffen und Verletzungen körperlicher und seelischer Art geschützt ist,
und wo man ohne Angst in Sicherheit leben kann. Heute verbinden wir mit dem
Begriff Asyl meistens Migration. Das ist eine zu enge Sicht.
Auch unsere Kirchen sind Orte, die Schutz gewähren. Deswegen wurde der
Begriff Kirchenasyl geprägt. Kirche will aber noch mehr sein. Sie möchte
Heimat bieten.
Für den Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch ist die Kirche das Haus Gottes,
und das ist auch mein Haus. Ich kann da jederzeit hineingehen. Ich kann mich
sogar in die Kirche flüchten. Dort ist ein Platz für alle, und dort wird
ihnen auch Schutz gewährt. Und dort fühle ich mich auch sehr zu Hause, muss
ich sagen
Ich bin froh um die vielen staatlichen und kirchlichen Noteingänge. Wenn wir
dazu unsere eigene Tür offen halten, ist das gelebte Gastfreundschaft aus
dem Geist Jesu, egal ob wir diese Tür Noteingang oder Asyl nennen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 3. Februar 2011
Die Kraft der Erinnerung
Manchmal passiert es, dass eine Beziehung aufhört. Bricht sie ab, dann sind
Bruchstellen zu sehen. Wird sie abgeschnitten, dann kann man auf hoffentlich
saubere Schnittstellen schauen. Zerreisst sie, so sieht man da und dort noch
Fäden am Riss, Fäden, die auf die Wunde verweisen. Weh tun sie allemal, aber
glücklicherweise heilen die meisten solcher Beziehungswunden mehr oder
weniger schnell. Sie hinterlassen Narben und Narben erzählen ganz viel. Sie
erzählen von Beziehungen, die der Vergangenheit angehören, die vorbei sind.
Das kann wehmütig machen. Aber sie erzählen auch von der intensiven und
guten Zeit der Beziehung.
Wie sehr hat der Mann geleuchtet und sich aufgerichtet, als er von der
langen und guten Ehe mit seiner Frau erzählte und er erzählte so lebendig,
dass ich die Beiden als junges Liebespaar dem Ufer des Lago Maggiore entlang
flanieren sah. Fahrig und zitternd war er hereingekommen, kraftvoll und
voller Lebensmut ging er wieder hinaus. Seine Fragen blieben bestehen,
Einiges konnte geklärt werden, aber längst nicht alles. Doch ihm war viel
wichtiger die Energie, die er aus der Erzählung von seiner Frau schöpfen
konnte. Ein wunderschönes Erlebnis war es mitzuerleben, wie sich sein
gebeugter Körper aufrichtete, seine stumpfen Augen zu strahlen begannen, zu
leuchten, als wäre von einem Moment zum andern ein Licht angezündet worden,
ja viel mehr ihm ein Licht aufgegangen.
Es geht nicht nur darum, Vergangenem nachzutrauern das gehört zum Leben,
aber es ist nicht das Einzige. Wer dem Verlust einer Beziehung nachtrauert,
der weiss auch um ihre Schönheit und nicht nur das Eine gehört in unsere
Gegenwart, auch das andere.
Es geht nicht um die Frage, wie wäre es, wenn, sondern darum aus der
Schönheit der Vergangenheit Kraft und Freude zu schöpfen. Kraft und Freude
für ein Leben im Jetzt.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 27. Januar 2011
Warum Gegensätze zusammengehören
Eine Frau sagte mir in einem Gespräch: Gerade jetzt, wo ich Gott so
dringend bräuchte, spüre ich ihn überhaupt nicht. Auch beim Beten fühlt sich
alles in mir so leer an. Ich konnte sie gut verstehen. Ja, wenn es doch nur
einfacher wäre, Gott zu begreifen!
Die folgenden Gedanken von Ulrich Schaffer gehen weit über Vertröstung
hinaus. Sie können bewirken, dass jemand mit sich selbst wieder in Kontakt
kommt und dadurch auch Gott wieder spüren kann.
Dunkle Momente in deinem Glauben. Gott ist anders, als du dachtest. Wenn du
ihn brauchst, ist er nicht für dich da. Er scheint
dir das blutvolle Leben nehmen zu wollen.
Er umgibt dich mit Regeln, die dich einengen. Er hindert, fordert und
verpflichtet.
Könnte es an der Zeit sein, deine Kinder-
vorstellungen von Gott aufzugeben und ihn neu zu suchen, in der Freiheit des
Geistes und nicht in der Enge der Dogmen, in der Weite der Liebe und nicht
in der
Verneinung des Lebens?
Weil du dunkle Zeiten kennst, ist dir nichts mehr selbstverständlich.
Jeder Moment ist kostbar, und jedes Glück ein Stück Himmel.
Langsam schält sich eine Erkenntnis heraus.
Es ist das Wissen, dass das Leben aus hell und dunkel besteht, aus oben und
unten, aus jetzt und ewig, aus allein und zu zweit, aus innen und aussen,
und die Gegensätze bestehen nur in unserer engen Sicht der Welt.
Sie gehören zusammen und eins ist nur die Rückseite des anderen.
Sie bilden den Rhythmus, in dem sich alles entfaltet.
Und so erscheint in jeder Helligkeit schon bald ein Schatten
und die Dunkelheit geschieht auf dem Hintergrund des Lichts,
und zusammen bilden sie den unendlich reichen Teppich deines und meines
Lebens.
(aus dem Büchlein: weil du dunkle Momente kennst)
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 26. Januar 2011
Aha! Schlüsselerlebnis
Von Saulus zu Paulus. Haben Sie diese Worte schon einmal gebraucht, um die
verblüffende Wandlung eines Menschen zu beschreiben? Da hat man sich ein
Bild von jemandem gemacht, und das Urteil gleich dazu. Und dann plötzlich so
etwas! Die Person vollzog eine Kehrtwende um 180 Grad.
Nur ein Schlüsselerlebnis kann einen solchen Wandel bewirkt haben.
Vielleicht erinnern Sie sich auch an ein eigenes einschneidendes
Aha-Erlebnis. Wahrscheinlich konnten Sie erst einige Zeit danach so
richtig begreifen, was mit Ihnen geschehen war, was das bisherige Leben
komplett auf den Kopf stellte. Dann gibt es ein Einst und ein Jetzt, ein
neues, ganz anderes Leben, in dem sich Vieles verändert hat.
Gestern feierte die katholische Kirche das Fest der Bekehrung des Paulus. An
ihm zeigt sich, was für Auswirkungen ein einschneidendes Erlebnis auf das
weitere Leben haben kann. Von einem Verfolger der Urchristen wurde er zum
Apostel.
Als er im Auftrag des Jerusalemer Hohepriesters auf dem Weg nach Damaskus
war, um Anhänger von Jesus aufzuspüren und zu verhaften, hatte er eine
Begegnung mit dem auferstandenen Christus. Drei Tage lang, so heisst es,
habe er nichts mehr gesehen. Er hatte mit Überzeugung für das Gesetz gelebt
und war dabei blind gewesen für das, was dem Leben dient. Durch die
Begegnung mit Christus fiel es ihm wie Schuppen von den Augen
(Apostelgeschichte 9,18): Paulus vollzog eine radikale Wende, aber nicht von
heute auf morgen. Es war ein Prozess, der mehrere Jahre dauerte.
Deshalb habe ich die Hoffnung, dass sich alles, auch die Unheilsgeschichte
der Welt, schrittweise verändern kann auf das Gute hin. Solche
'Damaskuserlebnisse' gibt es nämlich auch heute.Dazu braucht es aber die
Erkenntnis, wie sie der verstorbene Schriftsteller Reinhold Schneider hatte:
"Was wir tun können ist: Mit unseren Kräften mitzuhelfen, dass sich die Welt
von innen her verwandelt; denn das sie es von ausen tue, ist nicht zu
erwarten."
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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