Weg-Wort vom 27. September 2010
Leuchtturm sein
Eine Kirchgemeinde, eine Pfarrei soll Leuchtturm, Gasthaus und Wohnstube
sein, und zwar in der genannten Reihenfolge. Das war die Vision, welche ein
mir bekannter Pfarrer vor Jahren entwickelt hatte. Wie kam er zu diesem
Dreiergespann?
1. Die Gemeinde soll sich nicht selbst anstrahlen wie einen Kirchturm.
Vielmehr soll sie ein Leuchtturm sein als Hilfe zur Orientierung, ein Licht
in Nebel und Dunkelheit.
2. Sie soll gastfreundlich und einladend sein, den
Menschen Raum geben und jeden einzelnen so annehmen, wie er ist. Es soll
neugierig machen, andere Leute in diesem Gasthaus zu treffen und mit ihnen
über Gott und die Welt zu reden.
3. Sie soll eine wohltuende Atmosphäre ausstrahlen. Das wäre wie heim kommen
in ein wohnliches Zimmer, wo man sich gerne länger aufhält und
wo die Familie zusammenkommt, um Ideen zu entwickeln, um zu essen, um
Freuden und Sorgen zu teilen, wo man füreinander da ist.
Klingt das eine Spur zu idealistisch für Sie? Mag sein. Trotzdem gefällt mir
die Vision sehr, denn sie beschreibt ein Ideal, das es wert ist, dass man es
vor Augen hat und darauf hinarbeitet. Ein Ideal lässt sich nie zu hundert
Prozent erreichen. Aber es ist das Zugpferd, der Motor, der uns antreibt und
die nötige Kraft und damit den nötigen Schub gibt, um sich ihm anzunähern.
Die Kirchgemeinde ist die Summe all ihrer Mitglieder. Damit sie eine
lebendige Gemeinschaft wird und auch bleiben kann, sollen möglichst viele
ihrer Mitglieder Leuchtturm, Gasthaus und Wohnstube sein, auf dass alle,
auch die Schwächsten, einen Weg finden, sich angenommen fühlen, heimkommen
dürfen und sich ausruhen können.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
info(a)bahnhofkirche.ch
www.bahnhofkirche.ch
Weg-Wort vom 23. September 2010
Singend durch den Regen tanzen
Hinter dem Haus haben wir einen Pflanzblätz. Gurken, Zucchetti, Bohnen,
Salat, Kartoffeln, Tomaten, diverse Sorten auch von Specie Rara und nicht
zuletzt Chili, diese kleine scharfe Frucht. Sie zu essen und Gartenarbeit
haben die gleiche Wirkung: Sie treiben einem den Schweiss aus allen Poren.
Nach dem Pflanzen und Hätscheln kommt irgendwann die Zeit der Ernte.
Darauf freue ich mich auch. Aber dieses Jahr mit dem Regen, der nicht mehr
an das Singen und Tanzen des Verliebten erinnert, von Gene Kelly auf den
Strassen New Yorks so wunderbar inszeniert. Dieses Jahr hatte der Kampf mit
den Schnecken oberste Priorität, wenn man einmal ohne Schifferstiefel in den
Garten gehen konnte. Der Regen schwemmte und die Schnecken frassen alles
weg.
Kein Freudentanz eher mausgraue Traurigkeit und Schmerz über die verlorene
Zeit und die verlorene Ernte.
Und dann der Gedanke: Für mich ist das Hobby, Ausgleich für andere
Existenz, die da zerfressen wird. Dann werde ich bescheidener, lasse meinen
Kopf nicht hängen, sondern halte Ausschau nach Schönem, Gelungenem, nach den
Äpfeln, die aufgelesen werden sollen, noch nicht ganz reif das gibt so
wunderbare Wähen. Ich sehe, was trotzdem wächst, nicht verfault oder den
gefrässigen Schnecken zum Opfer gefallen ist. Ich sehe, was nährt und in
trister Zeit, Freude bereitet. Ich höre Gene Kellys Lied, habe seinen Tanz
vor Augen und spüre den Regen nicht mehr. Was lässt den Mann singen, was
lässt ihn tanzen? Die Liebe füllt ihn aus, lässt ihn fast platzen. Die
Liebe, dieses eigenwillige Ja zu mir, zu uns. Menschen sprechen es aus und
sychronisieren dabei nur Gottes Stimme, die Ja sagt zu uns. Und wenn die
Menschen einmal stumm werden, Gott bleibt bei seiner Meinung. Sein Ja zu uns
schwemmt kein Regen weg.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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Weg-Wort vom 16. September 2010
Ein Gebet
Nimm mich dahin mit, wohin ich gehen soll, lass mich die treffen, die ich
treffen soll, sage mir, was ich sagen soll und lass mich Dir nicht im Wege
stehen.
Auf einem kleinen Zettel steht dieses Gebet. Ich trage ihn schon Jahre im
Portemonnaie und er ist deshalb zerrissen, auch schweissgetränkt. Bevor es
nicht mehr lesbar ist, wollte ich das Gebet aufschreiben. So, wie es auf dem
Zettelchen steht, ist es von Pater Mychal Judge, Feuerwehrseelsorger in New
York, gestorben am 11. September vor zehn Jahren.
Der Führung Gottes vertrauen, das ist ein Unternehmen, das herausfordert. Es
ist gar nicht so einfach zu bewerkstelligen. Du kannst Ihm auch im Wege
stehen, wenn du meinst, Er führe dich.
Das ist so mit der Berufung. Du fühlst dich berufen auf eine Stelle und
meinst damit sei das, was du tust, schon von vornherein gut und richtig. Du
bist aber nicht der einzige, der sich berufen weiss. Aber diese Person ist
so ganz anders, sie glaubt anders, sie betet anders, überhaupt, sie passt so
gar nicht in deine Vorstellung von Glauben und Gott und Frömmigkeit hinein.
Was machst du dann? Wer ist im Recht, wer ist wahrhaft berufen? Nur du, nur
sie, beide sogar?
Warum bist du dieser Person begegnet? Wäre es nicht einfacher, du hättest
einfach mit deinen Glaubensbrüdern und Schwestern dein Leben gestalten
können.
Ja, das wäre es: Eintauchen in die wohlige Vertrautheit gleichen Glaubens
und gleicher Frömmigkeit. Du kannst dich darin wohlfühlen und brauchst
eigentlich keine fremden Formen , die stören nur.
Und dann wirst du trotz allem in ein Leben hineingestellt, das dich und
deine Glaubensart herausfordert, irritiert, befremdet, zum Gespräch und zur
Auseinandersetzung antreibt und dir mindestens sagt: Du bist mit deiner Art
zu glauben nicht alleinseligwerdend.
Es gibt noch andere auf der Welt. Lass dich auf sie ein. Lass sie zu, lass
dich in Frage stellen, denn die andern beten vielleicht das gleiche Gebet
wie du und hoffen dabei auch, Gott nicht im Wege zu stehen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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