Weg-Wort vom 4. November 2010
Empfangen und loslassen
Empfangen und loslassen wo lässt sich das besser erfahren und einüben als
beim Atmen? In der letzten Yoga-Stunde fühlte sich das für mich so an:
Bewusst einatmen ohne jede Anstrengung. Die eingeatmete Luft einen
Augenblick wahrnehmen ohne sie krampfhaft zu halten. Ausatmen leer
werden, nichts zurückbehalten, den Atem loslassen.
Beim Atmen spüre ich, wie es ist, wenn ich zu viel Sauerstoff aufnehme und
zu wenig ausatme.
Es entsteht eine Unausgewogenheit. Ist diese über längere Zeit zu gross,
kann das zu Schwindel führen bis hin zum Hyperventilieren, weil zu viel
Sauerstoff im Blut ist. Lasse ich aber so viel Atemvolumen los wie ich
aufgenommen habe, entsteht ein Gefühl von Leichtigkeit.
Die Erkenntnis daraus: Wir nehmen, konsumieren
und erwarten oft mehr als uns gut tut. Immer noch mehr wird aber irgendwann
einmal zu viel. Dieses Zuviel blockiert uns dann, wir haben die Hände, aber
auch den Kopf und vor allem das Herz nicht mehr frei für das, was das Leben
für uns bereit hält. Das Bemühen, alles Erworbene zu (be)halten, wird zur
krampfhaften Anstrengung.
Wenn meine geöffneten Handflächen nach oben zeigen, ist Beides möglich,
nämlich empfangen als auch loslassen, entgegennehmen als auch geben.
Die Hände sind dann wie eine Schale.
Wer loslässt, hat zwei Hände frei. Diese Weisheit gilt auch für den Kopf
und das Herz. So wie ein Heissluftballon immer wieder Ballast abwerfen muss,
um Höhe zu gewinnen, so ist es gut, immer etwas mehr zu geben als zu nehmen.
Wir werden dafür einen Zuwachs an Lebensfreude feststellen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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Weg-Wort vom 3. November 2010
Wozu das ABC gut ist
Schon öfters haben mir Menschen in einem Gespräch gesagt: Wissen Sie, ich
bin nicht gerade besonders
gläubig. Aber an etwas muss ich mich ja auch halten können. Mir geht es gar
nicht gut. Da dachte ich ans Beten. Von Anderen höre ich immer wieder, dass
es ihnen hilft. Nur bei mir nützt es nichts. Ich weiss ja nicht mal, wie das
richtig geht mit dem Beten. Ich glaube, ich kann überhaupt nicht beten.
Muss man also erst lernen, richtig zu beten?
Die Erzählungen der Chassidim berichten von Begegnungen zwischen Menschen,
von ihrem Umgang miteinander und von ihren Glaubens-erfahrungen. In einer
ihrer Geschichten habe ich eine einfache Antwort auf die Frage nach dem
richtigen Beten gefunden:
Eines Abends spät merkte ein armer Bauer auf dem Heimweg vom Markt, dass er
sein Gebetbuch nicht bei sich hatte. Da ging mitten im Wald ein Rad seines
Karrens entzwei, und es betrübte ihn, dass dieser Tag vergehen sollte, ohne
dass er seine Gebete verrichtet hatte.
Also betete er: Ich habe etwas sehr Dummes getan, Herr. Ich bin heute früh
ohne mein Gebetbuch von zuhause fortgegangen, und mein Gedächtnis ist so
schlecht, dass ich kein einziges Gebet auswendig sprechen kann. Deshalb
werde ich dies tun: ich werde fünfmal langsam das ganze ABC aufsagen, und
du, der du alle Gebete kennst, kannst die Buchstaben zusammensetzen und
daraus die Gebete machen, an die ich mich nicht erinnern kann.
Und Gott sagte: Von allen Gebeten, die ich heute gehört habe, ist dieses
ohne Zweifel das beste, weil es aus einem einfachen und ehrlichen Herzen
kam.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 29. Oktober 2010
Ein Leben ohne Warum
Es ist der Tag, an dem mir ein lieber Bekannter von der Geburt seiner
Zwillinge erzählte.
Freude, Jubel kein Warum.
Es ist der Tag, an dem ich vom tragischen Tod von Steve Lee erfuhr. Der Name
sagte mir wenig, Leadsänger von Gotthard schon mehr. Ich dachte an die
Betroffenen, aber auch an meine Freunde, die kein Konzert von Gotthard
ausliessen. Unbegreiflich, so schmerzhaft, so sinnlos - und die brennende
Frage Warum?.
Es ist auch der Tag, an dem ich aus dem Büchlein von Dorothee Sölle las
Leidenschaft für das Leben. Dort schreibt sie: Der Begriff des ohn
Warum, sunder warumbe? stammt von Meister Eckhart..
Er meint: Wer das Leben fragte tausend Jahre lang: Warum lebst du?,
könnte es antworten, es spräche nichts anderes als Ich lebe darum, dass
ich lebe. Das kommt daher, weil das Leben aus seinem eigenen Grunde lebt
und aus seinem Eigenen quillt; darum lebt es ohne Warum eben darin, dass es
(für) sich selbst lebt. Wer nun einen wahrhaftigen Menschen, der aus seinem
Grunde wirkt, fragte: Warum wirkst du deine Werke? sollte er recht
antworten, er spräche nichts anderes als: Ich wirke darum, dass ich wirke.
Wo die Kreatur endet, da beginnt Gott zu sein. Nun begehrt Gott nichts mehr
von dir, als dass du aus dir selbst ausgehest deiner natürlichen Seinsweise
nach und Gott Gott in dir sein lässt.
Frage nicht nach dem Warum, aber schätze jeden Tag als besonderes Geschenk,
als den Tag, an dem du Gott in dir wahrnimmst. So bist du und dein Tag
erfüllt. Kein Warum nach der Schönheit der letzten Minute, sie gehört in
unser Leben erfüllt es. Kein Warum nach dem Schmerz der letzten Minute, er
gehört in unser Leben und füllt es. Und Gott in beidem bei uns, in beidem
in uns. Er ist da.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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Weg-Wort vom 28. Oktober 2010
Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen!
(Matthäus 7,12; Lk 6,31)
Dieser Satz kommt Ihnen irgendwie bekannt vor, aber woher bloss? Natürlich!
Es gibt doch das Sprichwort:
Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu.
So einfach lässt sich formulieren, wie das menschliche Zusammenleben in
Frieden und Harmonie funktionieren könnte. Die Evangelisten Matthäus und
Lukas legen es den Menschen in der Bergpredigt und in der Feldrede
eindringlich ans Herz.
Diese Goldene Regel gilt aber nicht nur für Christinnen und Christen,
sondern für alle Menschen. Sie existiert auch in den anderen grossen
Weltreligionen. Bei den Juden heisst es: Tue nicht anderen, was du nicht
willst, dass sie dir tun; und im Islam: Keiner von euch ist ein Gläubiger,
solange er nicht seinem Bruder wünscht, was er sich selber wünscht. Die
gleiche Regel mit ähnlichem Wortlaut kennen auch Buddhisten und Hinduisten.
Vom kommenden Sonntag bis zum 6. November findet in der Schweiz die
4. Woche der Religionen statt. Religion ist in Westeuropa nicht mehr so fest
verankert. Dabei ist sie viel mehr als nur Privatsache, nämlich
Auseinandersetzung mit Gesellschaft und Umwelt, mit Sinnfragen und dem
Leben. Deshalb möchte die Woche der Religionen Begegnungen fördern
zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen und verschiedener
Glaubensbekenntnisse. Dabei lässt sich Gemeinsames entdecken, mit Trennendem
umgehen lernen und Toleranz üben.
Auch die bevorstehende Ausstellung in der kath. Kirche St. Peter und Paul in
Zürich mit dem Titel So geht katholisch sucht den Dialog, mit Katholiken,
mit Christen anderer Konfessionen und mit andersgläubigen interessierten
Menschen. Denn erst wenn ich meiner eigenen religiösen Identität bewusst bin
und sie auch lebe, macht mir das Fremde keine Angst mehr. Vielmehr entdecke
ich daran dann das, was bereichernd ist.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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