Weg-Wort vom 21. Oktober 2010
Sprich dich ruhig aus!
Es ist eine Redewendung, die viele von uns schon mehr als einmal benutzt
haben und die uns locker über die Lippen kommt. Dieses Sprich dich ruhig
aus ist aber
meistens nicht eine wirkliche Einladung an jemanden, sich tatsächlich
mitzuteilen. Wir gebrauchen den Satz eher im Sinn von: Was ist los mit dir?
Na, jetzt mach mal halblang! Alles halb so schlimm. Take it easy!
Aber wir wissen heute auch, wie wichtig es ist, sich auszusprechen. Was wir
ständig runterschlucken, stösst uns nicht nur sauer wieder auf, sondern es
liegt uns schwer und unverdaulich im Magen und noch schwerer auf der Seele.
Dann drückt uns nicht bloss der Schuh, sondern der Druck lastet auf unserem
Herz.
Eigentlich weiss ich gar nicht so recht, warum ich hier bin und was ich
hier will. Das bekomme ich mitunter zu Beginn eines Gesprächs zu hören.
Nach einer gewissen Zeit fällt das anfänglich mühsame Sprechen leichter. Der
Druck nimmt ab, der Platz zum Atmen nimmt zu. Ein befreiendes Gefühl!
Sich aussprechen können ist heilsam. Der Benediktiner Anselm Grün schreibt
dazu: Gerade weil viele Menschen heute unfähig zu echter Kommunikation
sind, müssen sie es wieder lernen, sich auszusprechen und darin Befreiung
von inneren Spannungen zu erfahren. Für viele ist es ein Problem, dass sie
über das, was sie im Tiefsten verletzt, nicht sprechen können. Sie schlucken
alles hinunter, fressen den Ärger, den Schmerz, die Enttäuschung in sich
hinein, werden innerlich verbittert und bekommen Magengeschwüre davon.
So weit sollte es niemand kommen lassen. Deshalb ist es wichtig zu lernen,
über sich und seine Verwundungen zu sprechen. Der Satz Eigentlich weiss ich
gar nicht so recht, warum ich hier bin kann der erste Schritt auf diesem
Weg sein.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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Weg-Wort vom 20. Oktober 2010
Unten grau, oben blau - oder: Warum der Schäfer jedes Wetter liebt
Ich hatte ich mich auf einen goldenen Oktober eingestellt. Ein Meteorologe
hatte ihn bereits im Sommer prophezeit. Ich glaubte ihm gerne. Schon der
Beiname des Monats spricht für sich. Kein anderer hat ein so magisches,
leuchtend farbiges Licht wie der Oktober. An Wiesen- und Waldrändern
schimmern Netze aus silbernen Spinnfäden. Als Kind bin ich manchmal
unversehens mit dem
Gesicht in ein solch feines Netz geraten. Weil ich oft das Wort
Altweibersommer hörte, malte ich mir aus, dass diese Fäden das
feingesponnene Werk von alten Frauen waren.
Ich mag die Besonderheiten des Spätsommers.
Im ersten Drittel wurde der Monat seinem Namen denn auch mehr als gerecht.
Aber seither wiederholen sich die Wetteransagerinnen in ihrem Wortlaut:
unten grau, oben blau.
Wenn jemand sagt, er fühle sich in letzter Zeit müder als gewöhnlich, so
führt er das meistens auf den grauen, düsteren Himmel zurück. Auch ich
gehöre bisweilen zu diesen jemand. Weil diese Erklärung mein Wohlbefinden
aber mehr behindert als fördert, ist sie auf Dauer hinderlich für mein
Wohlbefinden.
Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt höchstens unpassende Kleider, hab
ich mal jemanden sagen hören. Stimmt eigentlich. Ausserdem braucht es von
allem: Sonne und Regen, Hitze und Kälte, dunkel und hell. Machen wir uns
doch die Einstellung des Schäfers aus der folgenden Geschichte zu eigen.
Dann werden auch wir künftig jedes Wetter mögen:
Ein Wanderer: Wie wird das Wetter heute? Der Schäfer: So, wie ich es gern
habe. Woher wisst Ihr, dass das Wetter so sein wird, wie Ihr es liebt?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich nicht immer das bekommen kann,
was ich gerne möchte. Also habe ich gelernt, immer das zu ,mögen, was ich
bekomme. Deshalb bin ich ganz sicher: das Wetter wird heute so sein, wie ich
es mag.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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Weg-Wort vom 15. Oktober 2010
Bitte haben Sie etwas Geduld
Sie rufen eine 0800er - Nummer an. Sie brauchen nur rasch eine Information:
von Ihrer Hausratversicherung, von der Swisscom oder der Billag. Am anderen
Ende der Leitung ertönt eine Stimme ab Band, welche Sie auffordert, die
Taste 1,2 oder 3 zu drücken, je nach Fragestellung. Danach hören Sie die
Stimme sagen: Herzlich willkommen. Leider
sind zur Zeit alle unsere Mitarbeiter besetzt. Bitte bleiben Sie am Apparat.
Wir bedienen Sie so schnell als möglich. Bitte haben Sie etwas Geduld. Sie
werden in einer Warteschlaufe mit Musik vertröstet, die Sie nicht mögen.
Meine letzte Warteschlaufenzeit betrug satte 12 Minuten. Aber noch bevor ich
mich ärgern konnte, hörte ich verwundert, wie Leonard Cohen mit seiner
melancholischen Stimme sang:
And Jesus was a sailor when he walked upon the water Der Song
Suzanne stammt aus dem Jahr 1967, ich war ein absoluter Cohen-Fan. Nun
tauchte ich ab, den Hörer am Ohr, und liess mich von der Melodie und der
Stimme forttragen wie auf einer Meereswoge. Auf einmal wünschte ich mir, das
Lied möge nicht zu Ende gehen. And Jesus
Was a sailor when he walked upon the water Ich schloss die Augen.
Jesus war übers Wasser gegangen. Das zeigt mir sein unendliches Vertrauen in
Gottes Führung. In eine Führung, die trägt, die Boden unter den Füssen gibt.
Wie wende ich mich an Gott? Mit einem solchen Vertrauen in seine Führung,
wie Jesus es hatte? Oder befinde ich mich mit falschen Erwartungen in einer
Warteschlaufe?
Meine Gedanken wandern zum hl. Augustinus, der gesagt hat: Gott erhört dich
vielleicht nicht nach deinem Willen, aber er erhört dich zu deinem Heil.
Plötzlich holt eine Stimme am Telefon mich zurück: Mein Name ist M.M., was
kann ich für Sie tun? Ich weiss nicht mehr. War wohl auch nicht so wichtig.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 14. Oktober 2010
Überzeugende Fragen
Unter Bertold Brechts Geschichten von Herrn Keuner findet sich auch die
folgende:
"Ich habe bemerkt", sagte Herr K., "dass wir viele abschrecken von unserer
Lehre dadurch, dass wir auf alles eine Antwort wissen. Könnten wir nicht im
Interesse der Propaganda eine Liste der Fragen aufstellen, die uns ganz
ungelöst erscheinen?"
Eine Liste der Fragen aufzustellen, auf die wir keine Antwort wissen, könnte
auch der Glaubwürdigkeit unserer christlichen Lehre gut tun. Zum Beispiel:
Warum gibt es so viel Ungerechtigkeit, Elend und Leid in der Welt? Warum
musste dieser Mensch so früh sterben? Was geschieht mit uns nach dem Tod? Es
gibt so viele bedrängende Fragen, auf die unser Glaube keine Antwort gibt.
Gerade wir Theologen und Prediger fühlen uns gerne als Geheimräte Gottes,
die mehr von Gott begriffen haben als andere Leute, während doch nach
einem Wort von Karl Rahner - die wahren Theologen die sind, die besser
begriffen haben als andere Menschen, dass Gott unbegreiflich ist. Spätestens
wenn wir als Seelsorger am Bett eines Krebskranken oder am offenen Grab
einer früh verstorbenen Mutter stehen, fehlen uns glaubhafte Worte.
Unser Glaube beantwortet nicht alle unsere bedrängenden Fragen. Er kann uns
aber Kraft und Geduld geben, unsere ungelösten Lebensfragen auszuhalten in
der Hoffnung, dass Gott eine Antwort weiss und uns einmal eine Antwort gibt.
In diese Richtung weisen uns die Worte des Dichters Rainer Maria Rilke:
Forsche jetzt nicht nach Antworten,
die dir nicht gegeben werden können!
Lebe jetzt die Fragen!
Vielleicht lebst du dann allmählich
ohne es zu merken
eines fernen Tages
in die Antwort hinein.
Welche Einsichten werden mir vielleicht heute schon geschenkt?
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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Weg-Wort vom 13. Oktober 2010
Geben ist seliger als Nehmen (Apg 20,35)
Jetzt ist es also wissenschaftlich bewiesen, das Jesus-Wort, das uns die
Apostelgeschichte überliefert. Nach dem neuen Buch des Wissenschafts- und
Bestsellerautors Stefan Klein sind selbstlose Menschen glücklicher und leben
länger. Entgegen unserer landläufigen Meinung schneiden Egoisten nämlich nur
kurzfristig besser ab. Auf längere Sicht haben diejenigen Menschen Erfolg,
die sich um das Wohl der anderen bemühen.
Eigentlich wissen wir es ja schon: Wenn wir einem Kind eine Freude machen,
einem Fremden den Weg zeigen oder Menschen in Not Geld spenden, dann fühlen
wir uns gut. Nun zeigen auch die neuen Ergebnisse der Hirnforschung, dass
bei den meisten Menschen Zentren der Lust aktiv werden, wenn sie freiwillig
anderen etwas geben oder zu Liebe tun. Es sind dieselben Zentren, die uns
beim Genuss von Schokolade, einer Lieblingsmusik oder beim Sex angenehme
Gefühle bereiten.
Und das Glück, für andere da zu sein, ist dauerhaft. Menschen, die sich für
andere einsetzen, sind messbar zufriedener als solche, die nur ihre eigenen
Interessen verfolgen. Medizinische Untersuchungen zeigen, dass selbstlose
Menschen gesünder sind und auffallend selten unter Depressionen leiden.
Leider sind wir Menschen nicht nur dafür eingerichtet, selbstlos zu sein. Zu
unseren Erbanlagen gehört auch das Bestreben, zuerst auf den eigenen Vorteil
zu achten. Das ist ebenso notwendig. Unsere Aufgabe besteht darin, das
Gleichgewicht zwischen gesundem Egoismus und Altruismus zu finden.
Mit anderen Menschen in Verbindung zu sein und uns um ihr Wohlergehen zu
kümmern, gehört zu unseren tiefsten Bedürfnissen. Wir brauchen die
Menschlichkeit im Umgang mit anderen schon deswegen, weil sie unser eigenes
Wohlbefinden erhöht.
Für andere zu sorgen, schützt uns nicht nur vor Einsamkeit und Depression.
Vielmehr macht uns die Selbstlosigkeit glücklicher und schenkt uns
nachweislich sogar ein längeres Leben.
Kümmern wir uns also um unser eigenes Glück, indem wir uns (auch) um andere
kümmern.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 12. Oktober 2010
Es gibt noch gute Nachrichten
Da steht heute wieder wenig Erfreuliches drin, seufzt meine Frau bei ihrem
morgendlichen Blick in die Tageszeitung. Da wird fast ausschliesslich über
Naturkatastrophen, Krieg und Verbrechen berichtet. Bei der Tagesschau am
Abend ergeht es mir ähnlich: Gibt es denn keine positiven Nachrichten?
Only bad news are good news Nur schlechte Nachrichten sind gute
Nachrichten, die sich verkaufen, sagen clevere Journalisten. Und sie haben
nicht einmal Unrecht. Denn Hand aufs Herz, habe ich früher nicht selber
gerne zuerst die Rubrik Unglücksfälle und Verbrechen auf¬geschlagen? Und
erzählen wir nicht mit Vorliebe negative Erlebnisse weiter und breiten wir
nicht genüsslich die Schwächen und Fehler unserer lieben Mitmenschen aus?
Sicher muss die Presse ein realistisches Bild der Welt vermitteln und über
Ereignisse und Zustände berichten, die nicht gut sind. Aber vermitteln die
Nachrichtenmedien nicht oft ein verzerrtes Bild von der Welt, indem sie
schlechte Nachrichten in den Vordergrund stellen und erfreuliche
verschweigen?
Wir können die Welt nicht nur durch die rosarote Brille ansehen. Wir dürfen
Hunger und Krieg in der Welt, Arbeitslosigkeit und soziales Elend in unserem
eigenen Umfeld nicht aus unserem Bewusstsein ausblenden. Aber soll ich mich
jeden Morgen und Abend mit belastenden Informationen überschütten lassen?
Das ist auf die Dauer deprimierend.
Offenbar finden das viele andere Menschen auch. Umfragen zeigen, dass die
Leserinnen und Leser mehr gute Nachrichten in ihrer Zeitung lesen wollen.
Die Welt braucht einen Zufluchtsort vor all den schlechten Nachrichten, die
in Zeitungen, Radio und Fernsehen verbreitet werden, dachte sich der
Amerikaner Byron Reese und startete daraufhin "Happy News" eine
Internetseite, auf der es nur gute Meldungen gibt als Ausgleich für all die
traurigen Meldungen über Natur¬katastrophen, Kriege und Verbrechen.
Haben Sie keine Lust mehr auf schlechte Nachrichten? Dann schenken Sie Ihre
Aufmerksamkeit den guten, es gibt sie nicht nur im Internet, sondern auch in
der Zeitung und in unserem Alltag. Vielleicht haben wir heute ein besonders
offenes Ohr für erfreuliche Neuigkeiten und geben bewusst gute Nachrichten
an unsere Mitmenschen weiter.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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