Weg-Wort vom 18. November 2010
Herr, wie gewaltig ist dein Name
In den vergangenen Tagen zeigte sich der November von seiner nasskalten und
düsteren Seite. Dass sein Ruf als grauer Nebelmonat aber nicht immer
berechtigt ist, durften wir am vergangenen Wochenende erleben. Dank Föhn gab
es frühlingshafte Temperaturen, und der Himmel war fantastisch blau. Ich
verbrachte zwei Tage in den Bergen.
Auf dem Gornergrat war ich überwältigt beim Anblick der Gletscher und der
schneebedeckten Berge. Das Panorama mit 29 Viertausendern ist einfach
atemberaubend. Ehrfürchtiges Staunen allein reicht da nicht mehr. Ein Gefühl
von tiefer Dankbarkeit, von Glück und von Demut erfüllte mich angesichts
dieser gewaltigen Grösse und Schönheit.
In Psalm 8 singt David ein Lob- und Danklied auf die Herrlichkeit des
Schöpfers und die Würde des Menschen:
"Herr, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde;
über den Himmel breitest du deine Hoheit aus.
Seh ich den Himmel, das Werk deiner Finger,
Mond und Sterne, die du befestigst:
Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind,
dass du dich seiner annimmst?
Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott,
hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt.
Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände,
hast ihm alles zu Füssen gelegt."
Gott lässt uns teilhaben an seiner Schöpfung. Jeder Schneekristall und jeder
Stein zeugt davon. Mit jeder Handvoll Erde und mit jedem Schluck Wasser
sollte es uns bewusst werden.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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Weg-Wort vom 17. November 2010
Der Brückenbauer
Letzthin fragte mich eine Freundin, ob ich ihr einen Text oder ein Gedicht
schicken könnte. Eine noch junge Arbeitskollegin sei gestorben. Es gäbe kein
christliches Begräbnis. Sie wolle aber am Arbeitsort zusammen mit anderen
der verstorbenen Frau gedenken und Abschied nehmen.
Ich schickte ihr eine kleine Auswahl an Texten. Nach einer Woche kam ein
Dankes - Mail. Die Freundin schrieb mir zudem, sie sei mit Angehörigen der
Verstorbenen zu einer Brücke gegangen, von wo die Asche in den Fluss gekippt
wurde. Das habe sie sehr ernüchtert.
Weisst du, fuhr sie fort, in diesem Moment habe ich gedacht, dass wir als
Christen mit unserer Art, Abschied zu nehmen, doch etwas ganz anderes
anzubieten haben. Nicht billigen Trost, sondern etwas Tröstliches, weil wir
hoffen dürfen, dass etwas anderes, Neues kommt. Dass wir verbunden bleiben
über den Tod hinaus. Auch wenn es schwer ist, sich das vorzustellen.
Gott baut eine Brücke für uns. Wenn tragende Pfeiler unter uns einstürzen,
dann überbrückt er selbst den Abgrund von Leiden, Sterben und Tod. Jesus hat
gesagt: Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen. ( Joh 14,2) Wir wissen
nicht wie sie aussehen, und ich weiss nicht, wie ich mir das vorzustellen
habe. Aber es gibt mir das Gefühl: Alles wird gut sein.
Mein Glaube ist nur ein brüchiger Steg über Abgründen;
der nächste Windstoss schon kann ihn spurlos mit sich hinweg reissen.
Vertrauen ist nicht ein Wort meiner Muttersprache.
Noch heute reisse ich mir die Hände daran wund.
Du aber, Herr, hast mir Brücken gebaut über den Tiefen.
Deine Hand führt mich sicher zu dir. Du überwindest mein Ur-Misstrauen.
Ich fürchte nicht mehr mein Unvermögen. Ich freue mich an deiner Kraft.
(Ulrich Schaffer)
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 12. November 2010
Heimat
Vor einigen Jahren wohnten wir in einem Dorf in einem Mehrfamilienhaus,
dessen Bewohner und Bewohnerinnen nicht nur bunt gemischt waren, was das
Alter und die Lebensformen betraf, sondern auch die Herkunft: Da gab es je
eine Familie aus Tunesien, aus Kosovo und aus Thailand. Die drei älteren
verwitweten Frauen, die seit 40 Jahren in dem Haus lebten, waren gebürtige
Schweizerinnen. In der Schule hatten die Kinder Gschpänli aus Vietnam,
Kroatien, Bosnien, Mazedonien und der Dominikanischen Republik.
Wenn ich heute mit dem Velo auf dem Weg zum Bahnhof unterwegs bin, steht er
meistens neben dem Eingang zum Coop, der junge Asylbewerber aus Afrika. Auf
Brusthöhe hält er einige Exemplare des Strassenmagazins Surprise. Sieht er
mich, lächelt er; wir reden ein paar Worte, und manchmal kaufe ich ihm eine
Zeitung ab. Er spricht nicht viel deutsch. Ich weiss nicht, wie er in die
Schweiz gekommen ist, seit wann er hier ist, wo und wie er lebt.
Warum erzähle ich Ihnen das?
Am Sonntag ist der Welttag der Migranten und Flüchtlinge. Das Wort
Flüchtling weist darauf hin, dass die Menschen aus ihrer Heimat geflohen
sind, ihr Zuhause verlassen mussten.
Meine Schwester, die aus freien Stücken auf einen anderen Kontinent
ausgewandert ist, hat auch nach Jahrzehnten noch immer Heimweh.
Wie mag es Menschen zumute sein, die unfreiwillig alles zurücklassen müssen,
und in der Fremde um Aufnahme bitten?
Schon Jesus und seine Eltern waren Migranten, waren auf der Flucht und
suchten Aufnahme im fremden Land. In seiner Rede über die Endzeit sagte
Jesus: Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen.
(Matthäus 25,35b)
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Weg-Wort vom 11. November 2010
Nächstenliebe hat keine Stunde
Heute ist der 11. November. Für viele unserer nördlichen Nachbarn wird um
11.11 Uhr die Fasnacht ausgerufen, und bei uns fangen manche Guggenmusiken
an, für die Fasnacht zu proben.
Ich denke seit Kindesbeinen an diesem Tag eher an den hl. Martin, jenen
Bischof von Tours, der vor gut 1600 Jahren gelebt hat. Über all die
Jahrhunderte ist er den Menschen bis heute in lebendiger Erinnerung
geblieben, weil er das lebte, was er predigte, nämlich tätige Nächstenliebe.
Die Legende besagt, er habe als junger Soldat in einem strengen Winter am
Stadttor von Amiens einen Bettler angetroffen. Alle Menschen gingen offenbar
achtlos an ihm vorbei. Weil er nichts anderes bei sich hatte, zerteilte
Martin seinen Militärmantel und gab die eine Hälfte dem Frierenden. Das
brachte ihm den Spott einiger Umstehender ein, da er mit dem halben Mantel
nun selber erbärmlich aussah. In der folgenden Nacht erschien Martin im
Traum Christus, bekleidet mit dem halben Militärmantel. Für Martin war das
ein Zeichen Gottes. Er liess sich taufen. Er hatte sich Gottes Sache zu
seiner eigenen gemacht.
Wir werden kaum mehr einen frierenden Bettler im Schnee antreffen. Dafür
spüren viele Menschen eine andere bittere Kälte: die Kälte aus
Gleichgültigkeit, Lieblosigkeit, Missverständnissen, Streit, Trennung, die
Kälte aus Wortlosigkeit, Einsamkeit. Heute wie damals braucht es den Martin,
der hinschaut, der Not wahrnimmt und seinen Mantel teilt: den Mantel der
Güte und Nähe, den Mantel der Sorge und Anteilnahme, den Mantel tatkräftiger
Hilfe. (Gisela Baltes)
Ich habe einmal eine Wanduhr gesehen, die ohne Zeiger gefertigt war. Somit
kann man weder die Stunden noch die Minuten an ihr ablesen. Stattdessen ist
ein Spruch über dem Zifferblatt angebracht: Nächstenliebe hat keine
Stunde. Wie wahr! Denn jede Stunde und Minute ist die richtige dafür.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
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