Weg-Wort vom 17. Juni 2010
Zutrauen und Vertrauen
Als Jesus weiterging, liefen zwei Blinde hinter ihm her und riefen: Du Sohn
Davids, hab Erbarmen mit uns! Als er ins Haus ging, folgten sie ihm, und er
fragte sie: Traut ihr mir zu, dass ich euch helfen kann?
Ja Herr, antworteten sie. Da berührte Jesus ihre Augen und sagte: Was ihr
in eurem Vertrauen von mir erwartet, soll geschehen. Da konnten sie sehen.
(Matthäus 9,27-30)
Kann man heute überhaupt noch jemandem über den Weg trauen? Herrscht nicht
vielerorts ein Klima des Misstrauens? Die beiden Blinden trauten Jesus nicht
nur zu, dass er die Fähigkeit zum Heilen hatte, sondern sie vertrauten ihm
blind. Sie vertrauten sich ihm vorbehaltlos an, ohne den leisesten Zweifel.
Dieses unerschütterliche Vertrauen in Gottes gute Führung und Hilfe hatte
auch jene Frau, welche am Tag vor der Operation eine Kirche aufsuchte und
ihre Gedanken ins Anliegenbuch schrieb, das dort auflag:
Guter Gott, bitte führe morgen die Hand des Chirurgen, dass die OP gelingen
mag und ich wieder meine Hand gut gebrauchen kann. Sei bei mir. Ich danke
dir, und im Vertrauen und mit deinem Geleit gehe ich morgen ins Spital.
Da ist zum einen das know how der Ärzte, auf das die Frau vertraut. Dann
kommt aber noch eine weitere Dimension ins Spiel. In ihrem grossen Vertrauen
auf Gott bittet sie, er selbst möge die Hand des Chirurgen führen.
Sie kann dem Chirurgen ihr Zutrauen schenken, denn er beherrscht sein
Metier. Aber noch mehr vertraut sie darauf, dass Gott seine Hand führt.
Das schmälert keineswegs ihr Vertrauen in die ärztliche Kunst. Vielmehr
hilft ihr der Glaube, dass Gott an ihrer Seite ist, gelassen und ruhig ins
Spital zu gehen. Sie sagt wie die Blinden: Ja, Herr. Einen solchen
Glauben, der im Voraus fähig ist zu danken, wünsche ich uns allen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 16. Juni 2010
Zorn und Unversöhnlichkeit
Gott, vergib mir meinen Zorn und meine Unversöhnlichkeit!
Gib mir einen Lichtblick und ein Zeichen von dir!
Hinter dieser Bitte steckt eine grosse innere Not. Noch mehr, die Frau,
welche sich mit diesen Worten an Gott gewendet hatte, spürte und erlebte es
tagtäglich, wie ihr Zorn und ihre Unversöhnlichkeit der Sanftmut und der
Fähigkeit zur Versöhnung im Weg standen, sie sogar unmöglich machten.
Sie selbst litt mit der Zeit immer mehr unter diesem Zustand, überlegte, wie
sie ihren Zorn und ihre unversöhnliche Haltung überwinden könnte. Denn
wer nachträgt, hat auch viel zu tragen. Mit der Zeit hatten sich nämlich
fast alle ihre Verwandten, Freunde und Bekannten von ihr zurückgezogen. Ihr
soziales Netz wurde immer dünner, sie fühlte sich einsam und wurde
verbittert.
Einiges Tages hielt sie es nicht mehr aus, suchte Rat und nahm Hilfe in
Anspruch. Nach und nach gelang es ihr, sich selbst anzuschauen, bis sie auf
dem Grund ihrer Seele ankam. Jetzt konnte sie sich aussöhnen mit ihrem
eigenen Schatten. Sie erkannte, dass es Phasen gibt, wo sie nicht ohne
Auseinandersetzung, ohne Zorn, auskommen würde. Aber den Hass und das
Feindbild, das sie aufgebaut hatte, brauchte sie fortan nicht mehr. Durch
diese Erkenntnis wurde sie sanftmütiger und versöhnlicher.
Das heisst, wir müssen uns zuerst aussöhnen mit all dem Feindseligen, das
wir in unserer Seele vorfinden, mit den aggressiven und mörderischen
Tendenzen, mit dem Neid und der Eifersucht, mit der Angst und der
Traurigkeit, mit den Trieben und der Gier in uns. (Anselm Grün)
Dann werden wir geduldiger und damit auch versöhnlicher werden. Die Worte
des Apostels Paulus sind mir dazu Mahnung und zugleich Aufforderung:
Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen! (Epheser 4,26)
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Weg-Wort vom 15. Juni 2010
Wurzeln und Flügel
Kurz nach seiner Papstwahl im Jahr 1958 sagte Johannes XXIII. die
bemerkenswerten Worte: Nun geht nach Hause und streichelt eure Kinder!
Mit dieser Äusserung richtete er eine wichtige Botschaft an die Menschen.
Was aber genau wollte er damit sagen?
Ausgerechnet beim Wischen der Treppe kam mir dieser Satz in den Sinn. In
einer Ecke lag nämlich eine kleine, zusammengerollte Raupe. Vorsichtig trug
ich sie nach draussen und setzte sie ins Gras. Vielleicht verpuppte sich die
Raupe ja, entwickelte sich in ihrem Kokon und entpuppte sich dann eines
Tages zu einem bunten Schmetterling. Im Geiste sah ich ihn schon
davonfliegen.
Meine Gedanken schweiften weiter zu meinem Sohn. Er hat seine Zelte an
seinem bisherigen Wohnort wieder einmal abgebrochen, ist aufgebrochen zu
neuen Ufern. Ich werde ihn in nächster Zukunft wohl noch weniger sehen
können als bisher.
Da tut mir die Gewissheit gut, dass die Nähe und Geborgenheit, welche er
daheim spüren und erleben durfte, ihm einen Vorrat an Liebe für ein ganzes
Leben schenken werden. Trotzdem fällt mir das Loslassen nicht leicht. Es ist
für mich immer wieder ein Einüben ins Vertrauen.
So vertraue ich darauf, dass da eine grössere Kraft ist, die lenkt, nämlich
Gott. Ich vertraue darauf, dass das, was ich als Mutter zu vermitteln
versuchte, als Samen hängen bleibt und dass die Saat einmal aufgeht.
Das Vertrauen hilft mir, Ja zu sagen zu Veränderung und Entwicklung. So
gelingt es mir immer besser loszulassen.
Wenn die Kinder klein sind, gib ihnen Wurzeln. Wenn sie gross sind, gib
ihnen Flügel.
Diese Worte von Khalil Gibran lagen, aufgeschrieben auf ein Stück Papier,
jahrelang auf meinem Schreibtisch. Sie begleiten mich bis heute.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Weg-Wort vom 11. Juni 2010
Die Welt ist rund
Punkt 16.00 Uhr heute Nachmittag wird für Fussball-Begeisterte die Welt ein
paar Wochen lang zu einer runden Sache. Dann erfolgt nämlich in Johannesburg
der Anpfiff zum Eröffnungsspiel der FussballWeltmeisterschaft. Mit im Spiel
sind viele Emotionen. Fairness wird schon bei der Eröffnung, aber auch im
Verlauf der WM von den Offiziellen sicher immer wieder beschworen.
Die Forderung nach Fairplay auf dem Spielfeld braucht es dringend.
Unverständlich jedoch, dass Fairness im Vorfeld zu den Spielen nicht mit
Nachdruck auch für die Bevölkerung Afrikas eingefordert wurde. Viele werden
vom WMCup am Kap profitieren. Sicher aber nicht die südafrikanischen
Kleinunternehmer und die Ärmsten. Sie werden wieder einmal mehr als
Zaungäste am Rand bleiben müssen, besser gesagt, im offside stehen. Sie
sind nicht mit dabei im Poker ums grosse Geld. Spielt die Fifa fair, wenn
sie Milliarden einnimmt und das Gastgeberland kaum davon profitiert?
Die Fussball WM in Südafrika zeigt aber auch positive Auswirkungen: Die
Freude am Kicken boomt. Kinder rund um den Erdball stürzen sich auf das
runde Leder. Sport fördert den Teamgeist und das Fairplay, Freundschaften
können entstehen über sprachliche, kulturelle und soziale Grenzen hinweg.
Das machen sich viele Non - Profit - Organisationen zunutze. Da gibt es z.B.
die Schweizer Gassen-Meisterschaften des Strassenfussballs, wo Leute von der
Strasse, Arbeitslose und Asylsuchende spielen. Und es gibt hoffnungs-volle
Fussball-Projekte von Hilfswerken für Strassenkinder und Jugendliche in den
Townships und in Heimen.
Afrika rückt mit der WM in den Focus der Welt. Wir werden konfrontiert mit
den touristischen Schönheiten und mit Reichtum, aber auch mit Armut und
Elend. Fairplay darf sich nicht aufs Fussballfeld beschränken. Wir alle sind
zu
Fairness verpflichtet. Bleibt zu hoffen, dass Südafrika wenigstens als
Nation langfristig als WM-Gastgeber profitiert. Nur so wird die Fussball-WM
eine
runde Sache sein, an der ich Freude haben kann.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Weg-Wort vom 10.Juni 2010
In dieser Zeit im Juni wird landauf und landab konfirmiert oder gefirmt.
Eine Abschlussfeier für den religiösen Unterricht, ein Zeichen der Reife für
die einzelnen jungen Erwachsenen, ein Übergangsritus für viele.
Alles beschäftigt: Beruf, Beziehungen, Ansehen. Glaube beschäftigt dabei
weniger. Erst, wenn die Not einen trifft, oder man aus der Bahn geworfen
wird, kommt einem Glaube in den Sinn. Einfach vielleicht zu einfach. Aber
wie viele von uns beschäftigen sich mit ihrem Glauben Tag für Tag? Ich meine
damit nicht das Praktizieren, das Beten, sondern viel mehr. Ich rede davon,
was wir in unserm Glauben denken, wie wir uns zB die Heilstat Christi
vorstellen. Wir reden oft davon, dass Christus für uns gestorben ist, für
unsere Sünden. Und doch kennt der Markt mit der Schuld keine Grenzen, ein
Höllenversprechen folgt dem andern und Angst beherrscht den Alltag.
Was denken wir uns eigentlich dabei? Dass sich einzelne Christen dafür
hergeben, sich selber aber als Gerettete anzuschauen und andern die Hölle
anzudrohen und damit mehr eine Droh-, denn eine Frohbotschaft verkünden,
das ist das eine. Das andere ist, fast ebenso unverständlich, dass das noch
geglaubt wird. Wo bleibt das Denken?, Wo bleibt die Vernunft, die mir ganz
logisch sagt: Vertraue ich auf Christus, auf seine Heilstat: Warum lasse ich
mich ängstigen? Warum lasse ich mich von diesem Vertrauen abbringen von
Menschen, die meinen, sie hätten Jesus im Sack und der liebe Gott würde
schon nach ihrer Pfeife tanzen?
Bin ich einer, der Mist gebaut hat, der bis zum Hals im Dreck steckt, dann
gehöre ich doch zur Zielgruppe, die Gott mit seiner Erlösungstat im Auge
hat: Das für sich ernst nehmen, aber auch keine Schindluderei damit treiben
gehört als ein Schritt zum Erwachsenwerden in Glaubensangelegenheiten.
Zudem: Die Feuerwehr kommt auch nicht, um mir die Leviten zu lesen, sondern
um mich zu retten. Warum sollte es Gott anders herum mit uns halten.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Weg-Wort vom 7. Juni 2010
Sinn - Bilder des Lebens
Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht
lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre,
einige vernünftige Worte sprechen. ( in Goethes Wilhelm Meister)
Eine Freundin von mir feierte letztes Wochenende ihren 60. Geburtstag. Ich
wollte ihr etwas Spezielles
schenken. Sie liebt Literatur, aber auch Musik und vor allem Malerei.
Deshalb suchte ich einen befreundeten Künstler in seinem Atelier auf. Auch
diesmal konnte ich mich kaum satt sehen an seinen Bildern und Skulpturen.
Beim Anblick eines seiner Werke fragte ich ihn: Was für einen Gedanken
hattest du, als du dieses Bild gemalt hast? Seine Antwort war: Wenn ich
denken würde, würde ich schreiben und nicht malen.
Es ist eine schöpferische Kraft, die ihn antreibt. Seine Werken offenbaren
seine
Empfindungen; sie bilden seine Wahrnehmung der Wirklichkeit ab. Es sind
wahre Sinn-Bilder des Lebens.
Zwischen den Bildern und Plastiken gibt es jede Menge Grünpflanzen. Wir
sitzen da, trinken etwas zusammen und reden über seine Ideen für künftige
Projekte. Auf dem Heimweg bin ich noch ganz erfüllt von den vielen
Sinneseindrücken. Kunst ist eben weit mehr als nur etwas Schönes fürs Auge.
Wir können nämlich Bilder ansehen und durch sie sehen.
Vincent van Gogh schrieb 1880 an seinen Bruder Theo: Suche das letzte Wort
dessen zu verstehen, was die grossen Künstler in ihren besten Werken sagen
darin ist Gott. Der eine hat es in ein Buch geschrieben oder gesagt, der
andere in einem Gemälde! Es war sein Credo, dass im Grunde nichts wirklich
künstlerischer wäre, als die Menschen zu lieben. Da, wo Liebe neu geboren
wird, wird das Leben neu geboren. Seine Liebe zu den Menschen fand immer
wieder ihren Ausdruck in seinen Bildern. Ein Buch trägt den Titel Malen ist
manchmal wie säen. Treffender kann man es nicht ausdrücken.
Schlussendlich habe ich mich für die Skizze einer ganz speziellen Pietà als
Geburtstagsgeschenk für meine Freundin entschieden: Ein kleiner Mensch ist
liebevoll aufgehoben und geborgen in den Armen eines grösseren Menschen.
Mehr noch in den Armen und in der Liebe Gottes, die uns alle umfängt und
hält.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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