Weg-Wort vom 6. Mai 2010
Wo ist Gott?
Meine erwachsenen Kinder gehen schon lange nicht mehr in die Kirche.
Anfänglich machte mir das grosse Mühe. Heute kann ich besser damit umgehen.
Ich weiss, dass sie sich nicht abgenabelt haben von Gott. Meine Tochter
sagte mir mal, sie bete jeden Tag. Sie ist online mit Gott verbunden.
Vielleicht ist Gott unserer frostigen Zeit näher als dem Barock mit der
Pracht seiner Kirchen, dem Mittelalter mit der Fülle seiner Symbole, dem
frühen Christentum mit seinem Lebensmut; nur empfinden wir es nicht. Er aber
erwartet, dass wir nicht sagen: Wir fühlen keine Nähe, also ist kein Gott
sondern dass wir ihm durch die Ferne hindurch die Treue halten. Daraus
könnte ein Glaube erwachsen, nicht weniger gültig, ja reiner vielleicht,
härter jedenfalls, als er in den Zeiten inneren Reichtums je gewesen ist.
Diese Aussage des Religionsphilosophen Romano Guardini hat etwas
Tröstliches, Befreiendes und zugleich Ermutigendes. In Jesus Christus hat
Gott uns nämlich gezeigt, dass er mitten bei den Menschen ist, ja, dass er
dort zu finden ist, wo das Leben sich abspielt. Also nicht nur hinter
geschlossenen Kirchentüren, wenn wir als Christinnen und Christen im
Gottesdienst unseren Glauben feiern und bekennen, so wichtig die
Gemeinschaft von Glaubenden auch ist.
Gerade deswegen mag ich folgende kleine Geschichte:
Eine gläubige und fromme Frau, die Gott sehr liebte, ging jeden Morgen in
die Kirche. Unterwegs riefen ihr die Kinder zu, Bettler sprachen sie an.
Aber sie war so in sich versunken, dass sie nichts wahrnahm.
Eines Tages ging sie wie immer die Strasse hinab und erreichte gerade
rechtzeitig zum Gottesdienst die Kirche. Sie drückte an der Tür, aber sie
liess sich nicht öffnen. Sie versuchte es heftiger und fand die Tür
verschlossen.
Der Gedanke, dass sie zum ersten Mal in all den Jahren den Gottesdienst
versäumen würde, bedrückte sie. Ratlos blickte sie auf und sah genau vor
ihrem Gesicht einen Zettel an der Tür. Darauf stand: Ich bin hier
draussen!
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
info(a)bahnhofkirche.ch
www.bahnhofkirche.ch
Weg-Wort vom 5. Mai 2010
Jeden Tag Sonne
Gehören Sie zu den Menschen, die bei strahlendem Sonnenschein vor Energie
und Tatendrang nur so strotzen? Das lässt sich erklären. Es braucht das
UVB-Licht der Sonne, damit unser Körper Vitamin D herstellen kann. Und
dieses Sonnenschein-Vitamin versorgt uns
mit Glücksgefühlen. Die Arbeit geht leichter von der Hand.
Wie geht es uns aber, wenn der Sonnenschein von einer Schlechtwetterfront
verdrängt wird? Sitzen Sie dann drinnen und schauen durchs Fenster missmutig
auf den prasselnden Regen? Oder gehören Sie zu den Glücklichen, die trübe
Regentage total gemütlich und entspannend finden? Dann gratuliere ich Ihnen
zu Ihrem Naturell. Sie haben offenbar die Gabe, allem etwas Positives
abzugewinnen und die schönen Seiten zu sehen.
Mir geht schlechtes Wetter mitunter mächtig auf die Nerven. Ich kann mich
nicht so schnell damit abfinden oder gar anfreunden. Wenn ich die Zeit habe,
lese ich dann oft etwas. So bin ich über einen Text von Phil Bosmans
gestolpert, der mir enorm gut tut mit seiner positiven Einstellung. Es ist
eine einfache, aber vielversprechende Anleitung:
Wenn du die Zutaten von Sonne kennst, kannst du sie selber machen, so gut
wie das tägliche Essen.
Nimm eine grosse Portion Güte, dazu einen ordentlichen Schuss Geduld, Geduld
mit dir selbst und mit anderen.
Vergiss die Prise Humor nicht, um Misserfolge zu verdauen.
Mische ein gehöriges Mass Arbeitslust hinein und giesse über alles ein
grosses Lächeln, und du hast jeden Tag Sonne.
Das Rezept ist verlockend. Probieren wirs doch einfach aus!
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
info(a)bahnhofkirche.ch
www.bahnhofkirche.ch
Weg-Wort vom 30 April 2010
Respekt
Vor einiger Zeit entdeckte ich bei einem Besuch in Deutschland eine
spezielle Einkaufstasche aus Papier. Sie war bedruckt mit dem Slogan:
Respekt Alles andere kommt nicht in die Tüte! Caritas hatte die
Aktion lanciert, um auf vielfältige Probleme und Not aufmerksam zu machen.
Bei meinem letzten Einkauf wurde mir wieder einmal bewusst, wie privilegiert
ich bin. Viele können sich längst nicht alles leisten. Wer sich (fast) alles
leisten kann, sollte sich in besonderem Mass verantwortlich fühlen für
Mensch und Natur. Ein respektvoller Umgang mit der Schöpfung und ein
respektvoller Umgang der Menschen miteinander sollten so selbstverständlich
sein wie das tägliche Essen.
Dazu passen die folgenden Worte aus der Bibel:
Denn Gott sprach: Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen
Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch soll
sie zur Nahrung dienen. (Genesis 1,29)
Die Erde ist unser Lebens - Mittel. Respekt vor der Grösse der Natur, aber
auch vor ihrem sensiblen Gleichgewicht mahnt uns, sie zu achten, zu pflegen
und sorgsam mit ihren Schätzen umzugehen. Zur Zeit ist alles am Blühen. In
meinem Garten fliegen Hummeln und Bienen die unzähligen Blüten des
Lungenkrauts an, um Nektar zu sammeln. Sie bekommen ihn gratis, müssen sich
aber darum bemühen.
Auch wer kein Geld hat, soll kommen. Kauft Getreide und esst, kommt und
kauft ohne Geld, kauft Wein und Milch ohne Bezahlung! (Jesaja 55,1)
Niemand wäre so naiv zu glauben, dass er ohne zu zahlen Ware bekommt. Kommt
kauft ohne Geld - esst. Das heisst, wir sollen auf das achten, was
wirklich nährt. Respekt und Rücksichtnahme sind Bedingungen für einen
sorgenden und liebevollen Umgang mit unserer Erde und ihren Bewohnern.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
info(a)bahnhofkirche.ch
www.bahnhofkirche.ch
Weg-Wort vom 29. April 2010
Wo Berge sich erheben
Zurück aus dem Urlaub, habe ich Koffer, Tasche und Rucksack ausgepackt. Ein
Berg schmutziger Wäsche liegt vor mir. Auf dem Küchentisch zwei grosse
Stapel Zeitungen und Post; die Nachbarin hat während meiner Abwesenheit
täglich den Briefkasten geleert. Dann fällt
mein Blick auf den Schreibtisch, wo die Unterlagen für die Steuererklärung
liegen. Die Eingabefrist ist bereits vorbei. In der Agenda sehe ich, dass in
den nächsten Tagen ein paar Arztbesuche und weitere Termine anstehen. Und
Wegworte schreiben sollte ich auch noch. Nüchtern betrachtet, wird die
Erholung aus den Ferienwochen wohl nicht sehr nachhaltig sein, denke ich.
Ein riesengrosser Berg türmt sich vor mir auf. Arbeit und Termine, wohin ich
schaue!
Zum Glück habe ich am Abend Yogakurs. Ankommen, die Matte ausrollen, mich
schon vor dem Beginn ein paar Minuten entspannen. So kann ich mich
einstimmen auf die kommende Stunde. Gegen Ende dann die Yogihaltung
gestreckter Berg:
Unter meinen Füssen spüre ich den Boden; die Zehen sind gespreizt wie ein
Fächer. Ich kann mich verankern, weil es ein festes Fundament gibt. Es trägt
mich. Auf dieser Basis kann ich wachsen.
Die Yogalehrerin gibt kurze Anweisungen und Erklärungen. Fest wie ein Baum
an seinem Ort, ziehe ich Tagesbilanz, nehme zusehends wahr, wie mein Kopf
frei wird, wie klare Gedanken Raum gewinnen. Ich strebe nach oben, wachse in
die Höhe.
Als ich wieder daheim bin, liegen Wäscheberg und Post noch immer da. Die
Termine und all die anderen Aufgaben bleiben ebenfalls. Aber sie sind kein
riesiger Berg mehr, der mich abschreckt oder ängstigt. Ich selbst fühle mich
nun wie ein Berg, der ruhig und fest steht. Aus den Erinnerungen der
Ferienzeit können mir jetzt Kräfte zuwachsen. Ich kann mich dem Alltag
wieder neu stellen, Schritt für Schritt. Für diese Einsicht bin ich dankbar,
denn sie wirkt ungeheuer entlastend. Voller Energie mache ich mich an die
Arbeit.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
info(a)bahnhofkirche.ch
www.bahnhofkirche.ch
Weg-Wort vom 23. April 2010
Aufrecht gehen sollt ihr auch heute und morgen
Leute geht aufrecht. Geht nicht mehr geduckt.
Gott will den aufrechten Gang.
Demut lässt sich nicht beugen.
Aufrecht gehen sollt ihr, wenn ihr euch nichts vormacht und euch nicht
selbst belügt. Nur ohne Maske können wir Gott erkennen. Aufrecht gehen sollt
ihr, wenn ihr keine Waffen tragen. Dann seid ihr Kinder Gottes. Aufrecht
gehen sollt ihr, wenn ihr verleumdet und verfolgt werdet, weil ihr meine
Verheissungen ernst nehmt. Euch gehört die höchste Würde.
Die Fortsetzung der Seligpreisungen wollte ich Ihnen nicht vorenthalten. Sie
sind so klar für eine offene Sicht nach innen und nach aussen. Sie fordern
uns heraus in unserm Alltag, all das, was uns beugt und zu verbiegen droht,
ernst zu nehmen und ihm nicht auszuweichen, sondern Stand zu halten,
Widerstand zu leisten, widerständig zu sein. Dass damit unser Leben
einfacher würde, ist keinesfalls gesagt, dass es aber innen und aussen
klarer, durchsichtiger und identischer wird und damit auch besser, das ist
ein Teil der Verheissung.
Wie leicht lassen wir uns beugen, wie leicht verhindert Angst oder
Unsicherheit den direkten, oft auch schmerzhaften Weg. Wie leicht? Und was
bleibt zurück, die bittere Erfahrung, es wieder nicht geschafft zu haben,
wieder ausgewichen, wieder versagt, wieder und wieder und wieder .
Und so beugen wir uns, werden kleiner und kleiner innen und aussen und
verkrümmen uns in uns selbst. Wir werden zu dem Menschen, der in sich selbst
verkrümmt, an sich selber leidet. Luther redet da vom sündigen Menschen.
Leute geht aufrecht, Geht nicht mehr geduckt. Gott will den aufrechten
Gang. Er will uns auffalten, aufrichten und aufmachen, damit wir
weitersehen als unsere durch Bedenken und Ängste getrübten Augen schauen
wollen. Wir sollen die unvertraute Weite in unserm Leben erkennen. Wie weit
können wir sehen, wenn wir uns auftun, aufgetan sind?!
Leute geht aufrecht, Geht nicht mehr geduckt. Gott will den aufrechten Gang.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
info(a)bahnhofkirche.ch
www.bahnhofkirche.ch