Weg-Wort vom 7. Oktober 2009
Der Faden
Im Sommer hatte sich die Spinne an einem Faden vom Baum heruntergelassen.
Sie landete auf einer Weissdornhecke und machte sich daran, ein kunstvolles
Netz zu spinnen. Als sie fertig war, fing sie damit Mücken und Fliegen ein,
von denen sie sich ernährte. Es ging ihr gut. Doch da kam ein feuchter
Herbstmorgen. Die Spinne machte ihren Morgenspaziergang über das Netz. Sie
ging noch einmal überall hin, prüfte Fäden und Knoten. Es war alles in
Ordnung.
Da entdeckte sie auch wieder den Faden nach oben, an dem sie sich im Sommer
heruntergelassen und den sie über ihrer betriebsamen Geschäftigkeit ganz
vergessen hatte. Sie schaute hinauf und überlegte, was das denn für ein
fremder Faden sei, der in die Höhe führte. Sie wusste nicht mehr, wozu er
diente, hielt ihn für überflüssig und biss ihn kurzerhand ab.
Da passierte es: Sofort fiel das Netz über ihr zusammen, wickelte sich um
sie wie ein nasser Lappen und erstickte sie.
Die Spinne, das sind wir. Das Netz ist unser Leben und alles, was wir daraus
machen möchten. Denn wir spinnen ja oft Pläne für unser Glück. Und da ist
noch der Faden, der nach oben geht. Er ist für mich lebenswichtig, mein
ganzes Leben hängt an ihm.
Nein, ich werde nicht wie eine Marionette an diesem Faden bewegt. Der Faden
nach oben, er lässt mir die Freiheit zu spinnen, lässt mich gestalten und
farbige Muster in mein Netz weben.
Das Netz kann freilich zerzaust werden von hereinbrechendem Sturm und
peitschendem Regen, es kann Löcher bekommen und Risse, vielleicht verfange
ich mich sogar darin, zapple, bis ich mich wieder freigestrampelt habe.
Aber es wird nicht in sich zusammenfallen, wenn es verbunden ist mit dem
tragenden Teil meines Lebens, mit Gott, der mich in seiner Liebe hält.
Denn: Ewig denkt er (Gott) an seinen Bund. (1 Chr 16,15)
Darum will ich Sorge tragen dazu, den Faden zu IHM niemals abzuschnei-den.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Susanne Wey, Iris Daus
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Weg-Wort vom 5. Oktober 2009
Drei Schiffchen
Deine väterliche Fürsorge aber steuert es. Denn du hast alles so
eingerichtet, daß das Schiff im Meer seinen Weg findet und sicher durch die
Wogen getragen wird. (Weish 14,3)
Was wir an uns nicht mögen, was uns schwerfällt und wir loslassen möchten,
das haben wir dem Papier anvertraut. Der sonnige Herbst hatte die Gruppe aus
dem Schulzimmer an den Lieblingsplatz einer Konfirmandin ans nahe Flussufer
gelockt. So hielten wir den Unterricht auf den warmen Stufen, die ins Wasser
führten. Da sitzend, notierten die jungen Frauen ihre Gedanken über wer sie
sind und was sie sein könnten.
Aus dem Blatt, beschrieben mit dem, was ihnen nicht gefällt und sie
belastet, falteten sie Schiffchen. Zusammen schickten sie diese miteinander
auf den Weg. Was sie bereit waren los zu lassen, sollte der Fluss
forttragen.
Die Strömung zog die drei Schiffchen auf gleicher Bahn gegen das Schilf
weiter unten am Ufer. Dort verfingen sie sich und drehten leise. Das erste
befreite sich selbst, zog in die Flussmitte und tanzte davon. Das zweite
konnten wir gemeinsam mit einem Schilfrohr anstossen. Das dritte Schiffchen
widerstand unsern Bemühungen; es kippte und ging unter. Dort erfasste es
eine tiefere Strömung. Es tauchte noch einmal auf und zog durchnässt und
schwer noch etwas weiter.
Was als leichtes Spiel am Wasser gedacht war, stimmte uns nachdenklich. Die
drei Schifflein waren gleich gross und wurden zusammen aufs Wasser gesetzt.
Alle wurden auf der gleichen Bahn ins Schilf getrieben. Aber ein Schifflein
kam nicht wieder in Fahrt. Vielleicht war es überladen worden und der
grossen Sorgenlast nicht gewachsen.
Manchmal bedrücken uns viele Sorgen und Nöte auf einmal. Diese haben sich
meist über längere Zeit angestaut. Auch wenn wir dies wünschten, wir können
sie nicht alle auf einmal los werden. Bitten wir um Gottes Hilfe und lösen
ein Problem nach dem andern, dann laden wir jedes auf ein eigenes
Schiffchen. So finden dann manche zügig in die Mitte des Lebensflusses und
gleiten rasch davon.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 29. September 2009-09-29
Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem,
was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im
Wasser unter der Erde ist. (Exodus 20:4)
Im Konfirmandenunterricht sprechen wir über Gott und die Bilder, die wir von
ihm in uns tragen. Wir tun dies um uns bewusst zu machen, dass diese im Lauf
der eigenen Entwicklung ändern. Die Jugendlichen erzählen, dass sie früher
dachten Gott sei wie ein guter alter Mann mit einem Bart oder ein
allmächtiger Magier. Manche der Heranwachsenden sind sich unsicher darüber,
wer Gott für sie heute ist oder eben nicht mehr ist.
Persönliche Gotteserfahrungen haben sie noch nicht geprägt; das sind jene
erfüllten Momente im Leben in denen wir uns mit dem Ganzen verbunden
erfahren.
Seit über zehn Jahren sehnt der Mann sich nach jenem süssen Gefühl, das
ihn einst erfüllt hatte. Der Mann erzählte er habe sein ganzes Leben danach
ausgerichtet. Er hat seine Existenz geopfert, um wieder einmal so empfinden
zu können. In den Jahren hat er auf viel verzichtet und weiter gesucht. Doch
all sein Bemühen war umsonst.
Wer meint zu wissen, wo Gott anzutreffen ist oder wie er sich anfühlt, dem
entzieht er sich. Was dann bleibt ist die grosse Leere, die in die
Verzweiflung führen kann. Das Bild, das der Mann sich von Gott gemacht hat,
vergiftet sein ganzes Dasein.
Die Erinnerung an das süsse Gefühl ist ihm zur fixen Vorstellung geworden.
Diese hindert ihn daran, Gott in dem zu erkennen, was ihn heute umgibt.
Gott ist weit mehr als wir uns ausdenken können, weit mehr, als ein süsses
Gefühl. Gott lässt sich nicht in eine Form pressen.
Damit ist nicht leicht zu leben. Jesus gab uns darum mit dem Begriff vom
Vater eine Hilfe für unser Gebet. Er meinte, dass wir uns betend Gott so
vertrauensvoll zuwenden können wie einem guten Vater. Aber Jesus beschränkte
damit Gott nicht auf die Vaterrolle. Als Jude war ihm das Gebot heilig: Du
sollst dir kein Bildnis machen. Diese Ermahnung geht auch an uns Christen.
Denn eine feste Vorstellung von Gott verunmöglicht uns ihm dort zu
begegnen, wo er ist. Gott ist da. Die Frage bleibt; wo sind wir?
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Susanne Wey, Beat Schlauri
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Wegwort vom 30. September 2009
Freie Hände
Aber ich sage: Eine Handvoll zum Leben und dabei Ruhe und Frieden ist
besser als beide Hände voll sinnloser Jagd nach Wind. Koh 4,6
Oft gebrauche ich nur eine meiner Hände. Mit der andern halte ich während
eines ganzen Einkaufs die Schlüssel oder den Einkaufszettel, auch dann noch,
wenn ich die Sachen an der Kasse aufs Band gebe.
Im Garten vergesse ich manchmal die Schere abzulegen, wenn ich etwas anderes
dazwischen schiebe, wie den Dünger in die Giesskanne zu geben. Ohne es zu
bemerken, gleite ich von einer Aufgabe zur andern und halte etwas in der
Hand, das mich dabei behindert.
Erst wenn ich mich daran störe, weil ich nicht voran komme, nehme ich wahr,
dass ich eine meiner Hände nicht gebrauche. Ich habe das so lange nicht
bemerkt, weil ich mich in meinen Gedanken mit etwas Drittem beschäftigte.
Wenn es vorwärts gehen soll, wenn man etwas bewirken will, muss man beide
Hände dafür einsetzen. Man ist tatkräftiger, wenn man sich auf eine Sache
konzentriert. Es gilt sich für das zu entscheiden, was man gerade jetzt tut.
Alles andere muss warten. Die Aufgabe, die wir sorgfältig und aufmerksam
angehen, hat gute Voraussetzungen zu gelingen.
Unser Weisheitsspruch bezieht sich auf das, was Bestand haben soll im Leben.
Ruhe und Frieden finden wir, wenn wir aufmerksam eins nach dem andern
angehen, jedes zu seiner Zeit. Mehrere Dinge auf einmal erledigen wollen,
das ist gemeint mit der Jagd nach dem Wind.
Wir tun oft vieles aber unbedacht, einhändig oder halbherzig. Das Resultat
entmutigt, weil uns Fehler unterlaufen oder wir kaum etwas bewirken. Wollen
wir unser Dasein verbessern und in oder um uns etwas verändern, dann müssen
Kopf, Herz und Hände zusammen wirken. Eine Aufgabe wird dann auch spannend,
wenn wir ihr die volle Aufmerksamkeit schenken. Man erledigt sie mit Schwung
und kann dann die Nächste mit beiden Händen anpacken.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 24. September 2009
Wo die Liebe fehlt
Bestimmte Wörter sind so abgenutzt und abgedroschen, dass ich sie am
liebsten für eine Weile aus dem Sprachgebrauch verbannen möchte. Dazu gehört
für mich auch das Wort Liebe. Was wird doch nicht alles als Liebe
bezeichnet und mit der Liebe begründet!
So können wir nur versuchen, das mit dem Wort Gemeinte konkret und griffig
zu umschreiben. Einen anderen lieben heisst: sich um ihn kümmern; für ihn
sorgen; für ihn da sein; wünschen, dass es ihm gut geht; ihn nicht
verletzen; ihm geben, was er braucht. All das sind Äusserungen der Liebe.
Dem Geheimnis der Liebe kommen wir vielleicht noch besser auf die Spur, wenn
wir schildern, wie es ist, wenn die Liebe fehlt, wie es der chinesische
Weisheitslehrer Laotse tut:
Pflichtbewusstsein ohne Liebe macht verdriesslich
Verantwortung ohne Liebe macht rücksichtslos
Gerechtigkeit ohne Liebe macht hart
Wahrhaftigkeit ohne Liebe macht kritiksüchtig
Klugheit ohne Liebe macht betrügerisch
Freundlichkeit ohne Liebe macht heuchlerisch
Ordnung ohne Liebe macht kleinlich
Sachkenntnis ohne Liebe macht rechthaberisch
Macht ohne Liebe macht grausam
Ehre ohne Liebe macht hochmütig
Besitz ohne Liebe macht geizig
Glaube ohne Liebe macht fanatisch.
Liebe ist mehr als Pflichterfüllung. Die beste Absicht kann sich ins
Gegenteil verkehren, wenn dabei die Liebe fehlt, die Freude an der Sache,
der Funke der Begeisterung, das Wohlwollen für den Mitmenschen. Ist in
meinem Verhalten etwas davon spürbar? Können Menschen darin die Grundhaltung
der Liebe erkennen?
Die Liebe bleibt das Kriterium unseres Lebens. Indem wir diese Liebe leben,
nehmen wir vorweg, was bleibt und am Ende zählt. Albert Schweitzer hat das
so auf den Punkt gebracht: Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der
Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir weggehen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Weg-Wort vom 23. September 2009
Meine Hände
Ich schaue meine Hände an. Sie liegen offen vor mir auf den Knien. Ich
betrachte die Handflächen mit ihren Furchen und Linien. An meiner rechten
Hand habe ich eine lange Narbe von einer Verletzung, die ich mir schon als
Kind zugezogen habe. Ich lege die Fingerspitzen aufeinander und spüre den
Strom des Blutes unter der Haut, ich spüre das Leben, das in meinen Fingern
pulsiert.
Die menschliche Hand ist ein wunderbares, vielseitiges Werkzeug: ein
Greifarm, eine Schaufel, ein kräftiges Knetwerkzeug, eine feine Pinzette.
Hände können vieles tun: zupacken, abwehren, stützen, helfen, streicheln,
heilen, oder aber zuschlagen, wehtun. Der gestreckte Zeigfinger wirkt
bedrohlich und belehrend. Wenn wir die Faust im Sack machen, unterdrücken
wir unsere Wut. Eine offene Hand, die sich mir entgegen dargeboten wird,
erweckt Vertrauen.
Wir begrüssen uns mit einem herzlichen Händedruck. Je nach Temperament
drücken und schütteln wir uns die Hand oder wir halten sie dem anderen wie
einen schlaffen Waschlappen hin. Der Gebrauch unserer Hände sagt viel aus
über unseren Charakter und über unser Verhältnis zu den Mitmenschen, wie wir
auf andere zugehen, offen oder durch Berührungsangst gehemmt.
Jesus hatte keine Berührungsängste. Er legte den Kindern und Kranken die
Hände auf. Er berührte die Aussätzigen und Toten. Er fasste das tote Mädchen
bei der Hand und richtete es auf. Jesus wirkte nicht nur durch sein Wort,
sondern auch durch seine Hände. Seine Hände hatten die Macht zu trösten, zu
heilen, zum Leben zu erwecken.
Auch in unseren Händen stecken so viele helfende und heilende Kräfte. Wenn
wir jemanden mit einem warmen Händedruck begrüssen. Wenn wir einem
ermutigend die Hand auf die Schulter legen. Wenn wir jemanden herzlich
umarmen. Wenn wir ein Kind oder einen älteren Menschen an der Hand nehmen.
Wenn wir einem Mitarbeitenden hilfsbereit zur Hand gehen. Unsere Hände sind
so unterschiedlich und vielfältig. Und jede dieser Hände ist einzigartig und
kostbar.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
Susanne Wey, Beat Schlauri
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Weg-Wort vom 22. September 2009
In dir steckt mehr, als du ahnst!
Sie kennen vielleicht schon die Geschichte von dem jungen Adler, den ein
Mann gefangen und in seinen Hühnerstall gesteckt hat. Er gab ihm
Hühnerfutter zu fressen und erzog ihn zu einem Huhn, obwohl er doch ein
Adler war, der König der Vögel.
Als ihn ein vogelkundiger Mann entdeckte, hob er ihn in die Höhe und sagte
beschwörend: Du bist ein Adler, du gehörst dem Himmel und nicht dieser
Erde: Breite deine Schwingen aus und fliege! Der Adler auf der hoch
gestreckten Faust blickte um sich. Hinter sich sah er die Hühner nach ihren
Körnern picken, und er sprang zu ihnen hinunter und pickte mit.
Erst als er den Adler auf einen hohen Berg mitnahm und der Sonne entgegen
steckte, breitete er seine gewaltigen Schwingen aus, erhob sich mit dem
Schrei eines Adlers in die Luft und kehrte nie wieder zurück.
Gleichen wir Menschen nicht manchmal dem Adler in unserer Geschichte? Uns
scheint das Leben im Hühnerstall sicherer, geordneter und bequemer zu sein
als die Freiheit des weiten Himmels. Wir sind zufrieden mit den
hingeworfenen Körnern. Wir stellen keine Fragen, auf die wir keine Antwort
wissen. Wir haben uns daran gewöhnt oder sind dazu erzogen worden, wie ein
Huhn zu denken, zu fühlen, zu handeln - obwohl wir doch Adler sind.
Die Geschichte vom Adler will uns die Würde unseres Lebens bewusst machen.
Sie sagt uns: Mensch, finde dich nicht damit ab, wie ein Huhn hinter dem
Maschendraht zu leben! In dir steckt mehr, als du ahnst. Begnüge dich nicht
damit, das Leben aus der Hühnerperspektive zu sehen! Es geht im Leben um
mehr als nur darum, im Staub zu scharren, Körner zu picken und Eier zu
legen. Das kann doch nicht alles sein! Du gehörst nicht dieser Erde, nicht
nur deinen familiären und beruflichen Verpflichtungen, nicht dem Staat,
nicht der Gesellschaft, auch nicht der Kirche. Du gehörst dem Himmel! Du
bist nach dem Bild Gottes geschaffen! Sein Bild ist in dir verborgen, und es
soll in deinem Leben zum Leuchten kommen!
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
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