Weg-Wort vom 27. November 2009
Adventliche Sehnsucht
Gott, wir warten auf dein Kommen. Manchmal tasten wir uns bang
durch die Tage unsres Lebens wie durch einen dunklen Gang.
Gott, wir warten auf dein Kommen. Oft schon sind wir ganz verzagt,
zweifeln, ob sich wird erfüllen, was du uns hast zugesagt.
Gott, wir warten auf dein Kommen. Mancher glaubt schon längst nicht mehr,
dass noch die Befreiung käme, dass ein guter Ausgang wär.
Gott, wir warten auf dein Kommen. Wann bricht deiner Zukunft Schein
-Zukunft, die die Welt verändert in die Dunkelheit hinein?
Gott, wir warten auf dein Kommen. Gib, dass jeder, wo er ist,
spüren mag schon hier und heute, dass du, Gott, im Kommen bist.
Dieser Liedtext von M.G. Schneider könnte kaum aktueller sein, obwohl er
1972 geschrieben wurde. Da spiegelt sich unsere ganze Sehnsucht wieder, die
Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit, die Sehnsucht nach dem verlorenen
Paradies. So betrachtet zeigt uns die Sehn-sucht, dass unser Verlangen über
das Alltägliche und Banale hinausweist.
Die Sehnsucht hat die Kraft, wie es der Benediktiner-mönch Anselm Grün
ausdrückt Beton zu sprengen, den Panzer zu knacken, den wir um uns
aufgebaut haben, um unempfindlich zu sein gegenüber der anderen Welt.
Sehnsucht öffnet unsere enge Welt. Sie hält den Horizont über uns offen. Die
Sehnsucht verschliesst sich nicht den erschreckenden Tatsachen des Lebens.
Sie setzt uns auf die Spur der Hoffnung, die uns der Realität ins Auge sehen
lässt, ohne daran zu verzweifeln.
Deshalb spüren wir auch ziemlich schnell, dass Advent nicht einfach
Rückblick und Erinnerung an das Kommen Jesu bedeutet. Vielmehr heisst Advent
für uns: im Blick auf Jesus unseren Weg voller Hoffnung gehen, uns
ausrichten am Wort Gottes und damit eben auch anfangen, für eine gerechte
Welt zu leben und sich einzusetzen, damit der helle Schein und die Wärme der
Liebe Gottes für alle Menschen sichtbar und spürbar wird.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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Weg-Wort vom 26. November 2009
Gottesbilder
Glauben Sie an Gott? Ja? Wie stellen Sie sich ihn
dann vor? Wie nehmen Sie Gott wahr? Wie und wo erleben Sie ihn? Welchen
Zugang haben Sie zu Gott, was für ein Bild von ihm? Ist er ein wesenhafter
persönlicher Gott für Sie, ein ansprechbares Vis-à-vis auf Du und Du? Oder
ist Gott für Sie eine höhere
Macht, mit der sich das Unerklärliche erklären lässt?
Ursprünglich dienten plastische Gottesbilder oder gemalte Darstellungen von
Göttern dazu, die Gottesvorstellung realistischer zum Ausdruck zu bringen.
Aber schon die antike jüdische Religion lehrte und lehrt bis heute das
Nichtanfertigen von Gottesbildern, und das gleiche gilt für den Islam.
Die jüdisch-christlicheTradition sagt: Du sollst dir kein Gottesbild machen
und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten
oder im Wasser unter der Erde. (Ex 20,4) Und doch suchen wir den Kontakt zu
diesem unseren Gott, wir beten zu ihm, d.h. wir reden mit ihm, klagen ihn
an, hadern mit ihm, bitten, danken diesem unsichtbaren Gott. Wie sollten wir
an einen Gott glauben können, ohne uns ein Bild von ihm zu machen? Gott als
Schöpfer, Jesus als Menschwerdung Gottes, und wir Menschen als Abbild des
Göttlichen?
Wie stelle ich als eines seiner Geschöpfe mir meinen Gott vor? Angesichts
der Grösse dieser geheimnisvollen Weltordnung, und allen
naturwissenschaftlichen Entschlüsselungen zum Trotz, bin ich immer wieder
sprachlos und versuche eine Antwort mittels einer Erzählung:
Ein französischer Gelehrter durchstreift, mit einigen Arabern als Führer,
die Wüste. Beim Sonnenuntergang breiten die Araber ihre Teppiche auf dem
Boden aus und beten. Was machst du da? fragt er einen. Ich bete. Zu
wem? Zu Allah. Hast du ihn jemals gesehen betastet gefühlt? Nein.
Dann bist du ein Narr! Am nächsten Morgen, als der Gelehrte aus seinem
Zelt kriecht, meint er zu dem Araber: Hier ist heute Nacht ein Kamel
gewesen! Da blitzt es in den Augen des Arabers: Haben Sie es gesehen -
betastet - gefühlt? Nein. Dann sind Sie aber ein sonderbarer Gelehrter!
Darauf der Gelehrte: Aber man sieht doch rings um
das Zelt die Fuss-spuren! Da geht die Sonne auf in all ihrer Pracht. Der
Araber weist in ihre Richtung und sagt: Da sehen Sie die Fuss-spuren
Gottes!
Gott ist schöpferische Liebe, die Fuss-spuren ihr sichtbarer Ausdruck, und
wir die geheime Achse, um welche seine Ewigkeit, um welche sein Leben
schwingt.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 24. November 2009
Sterben lernen
Wir leben in einer Kultur der Jugendlichkeit. Massenweise Geld fliesst in
Kosmetik und neuerdings Chirurgie. Alles nur zum Zwecke der Jugend. Wenn ein
Mensch alt wird, gilt er nicht nur als hässlich, sondern auch als wertlos.
Keine Arbeitskraft mehr, kein Wert. Welchen Wert hat ein alt gewordenes
Leben? Welche Schönheit ein alt gewordener Leib?
Natürlich sind die als Senioren bezeichneten Alten auch Konsumenten. Ganze
Reisebüros leben von ihrem Geld. Aber auch diese Form der Beachtung hat
nichts mit Achtung zu tun. Da geht es um Geldflüsse und Lügen. Welchen Wert
hat ein alt gewordenes Leben? Ein alt gewordener Leib? Welchen Wert hat der
Tod in meinem Leben? Ich will nicht mehr mitmachen beim Verdrängen und
Entwerten. Ich spüre, dass mir etwas fehlt.
Was habe ich gegen die Vorstellung der Auferstehung des Leibes? Was habe ich
gegen den Gedanken, dass ich sterblich bin? Warum habe ich so viel Angst
vorm Tod? Warum renne und laufe, hetze und kämpfe ich so?
Ich möchte sterben lernen, mitten im Leben. Loslassen lernen. Aufhören.
Verzichten. Abschied nehmen. Mitten im Leben und auch am Ende. Das will ich
lernen. Aber nicht, um zur Gleichgültigkeit zu finden, zur anteilnahmslosen
Gelassenheit der Immerzufriedenen. Nein. Sondern um zu dem Leben geboren zu
werden, das nichts mehr einsperren, festlegen, fesseln und ausbeuten muss,
um die eigene Lebendigkeit zu spüren, die in der Verantwortung für Gottes
Schöpfung gipfelt. Ich möchte mitten unter meinen Geschwistern leben als
einer, der die Freiheit zulassen kann. Ich möchte den Tod umarmen lernen, um
mein Altern zu lieben und den Wahn zu lassen, alles beherrschen zu wollen.
Damit mich Gott wieder überraschen kann.
Um lebendig zu sein, muss das Samenkorn sterben. Das gilt auch für mein
Leben. Der Tod verliert seinen Schrecken. Vielleicht gelingt es mir, ihn,
wie der heilige Franziskus es getan hat, als Bruder Tod anzusprechen. Dann
kann ich leben.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 19. November 2009
Für einander da sein
Drei Brüder, so erzählt eine ägyptische Mönchsgeschichte, kamen zu ihrem Abt
und erzählten von ihren Werken. Der erste hatte das Alte und das Neue
Testament auswendig gelernt. Der Abt antwortete ihm: Du hast die Luft mit
Worten angefüllt! Der zweite hatte die Bibel abgeschrieben. Der Abt: Du
hast die Welt mit Papier vollgemacht. Der dritte sagte, er habe so
gefastet, dass auf seinem Herd Gras wachse. Der Abt antwortete: Du hast die
Gastfreundschaft vernachlässigt.
Heute ist der Gedenktag an eine besondere Frau und Heilige, Elisabeth von
Thüringen. Vor 800 Jahren in ein ungarisches Königsgeschlecht geboren, wurde
sie jung mit dem damaligen Landgrafen von Thüringen verheiratet. Am Hof
herrschten Prunk und ein verschwenderisches Leben. Elisabeth setzte dem als
junge Frau ihre radikale Christus- und Nächstenliebe entgegen. Sie liebte
ihren Mann von ganzem Herzen, aber ebenso liebte sie die an den Rand
Gedrängten, die Armen und Geächteten. Als eine grosse Hungersnot ausbrach,
kümmerte sie sich mit Hingabe um die leidenden und kranken Menschen und
teilte den Besitz, indem sie Spitäler gründete. Eine Legende besagt, dass
sie sogar einmal einen Aussätzigen in ihr eigenes Bett gelegt und gepflegt
hatte. Bis heute wird sie bei uns als Heilige der Caritas, der
Nächstenliebe, verehrt. In der katholischen Kirche zeugt noch das sog.
Elisabethenopfer, mit dessen Erlös bedürftigen Menschen geholfen wird, von
ihrer Ausstrahlung und Wirkkraft bis in unsere Zeit hinein.
Anders als die drei Brüder in der Mönchsgeschichte hatte sie verstanden, wie
die Liebe Gottes ein menschliches Gesicht bekommt. Ihr Engagement macht uns
deutlich, was Paulus mit seinem Brief der Gemeinde in Rom sagen wollte:
Seid einander in Liebe zugetan, übertrefft euch in gegenseitiger Achtung!
Lasst nicht nach in eurem Eifer, lasst euch vom Geist entflammen und dient
dem Herrn! Gewährt jederzeit Gastfreundschaft! Freut euch mit den Fröhlichen
und weinet mit den Weinenden! Seid allen Menschen gegenüber auf Gutes
bedacht! (Röm 12, 10-15).
Oder mit den Worten des Gründers der Communité von Taizé, Roger Schutz:
Lebe das vom Evangelium, was du verstanden hast, und sei es noch so wenig.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 18. November 2009
Brachzeit
Bei jedem Schritt vor die Haustüre geht mein Blick zu den Bäumen, an deren
Zweigen die letzten braunen, welken Blätter hängen. Sie warten darauf, dass
der Wind sie mitnimmt, um kurz danach lautlos auf den Asphalt oder die Erde
zu fallen.
Auf den Maisfeldern liegen noch die Stängel, auch sie abgestorben und dem
Zerfall preisgegeben.
Unter dem grauen Novemberhimmel fühle ich mich oft wie ein fallendes Blatt,
nur schwerer. Da ist immer dieses Empfinden von Brachzeit. Für mich bedeutet
dies vermehrten Rückzug in die eigenen vier Wände, und auch Rückzug ins
Innere. Ich erlebe diese Zeit ambivalent. Meine Stimmung kann mich ähnlich
drücken wie die Schwere mehrerer Kleidungsstücke übereinander. Und doch ist
für mich diese Zeit kostbar, ja unentbehrlich. Ich bin dann wie ein
liegengelassener gepflügter Acker ohne Saat; ein Acker, dessen Boden sich
bereichern und Zeit für seine Bearbeitung und Düngung gewonnen werden soll.
Das Nichtbestellen des Feldes ist eine notwendige Pause zum Auftanken, zum
Kraft schöpfen aus der Tiefe. Ohne Sinn für das Brachliegende gedeiht das
Leben nicht.
Es ist wie mit den Samenkörnern, die man in ägyptischen Pyramiden fand:
Irgend jemand pflanzte sie ein, sie bekamen Wasser, Licht und Humus. Und zu
aller Erstaunen keimten die 5000 Jahre alten Körner und brachten neues Leben
hervor.
So dürfen wir darauf vertrauen, dass nach jedem Winter ein Frühling kommt,
auch wenn es manchmal lange dauert.
Unser Zutun beschränkt sich darauf, das Ausruhen und Geschehenlassen
anzunehmen, zu bejahen und ihm Raum und Zeit zu geben. Denn wenn wir den
Winter in uns und um uns herum nicht verdrängen, kann es auch wieder
Frühling werden.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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