Weg-Wort vom 31. Mai 2011
Freundschaft
Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgendetwas kennen zu lernen. Sie
kaufen sich alles fertig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für
Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr.
Wie recht er doch hat, der Kleine Prinz von Saint Exupéry. Freundschaft ist
nichts Selbstverständliches. Gerade Buben und wir Männer haben zwar Kollegen
und Kumpels, aber selten wirkliche Freunde. Mädchen und Frauen haben viel
häufiger eine gute Freundin.
Dabei ist Freundschaft etwas ganz Wichtiges in unserem Leben. Jeder und jede
von uns braucht Menschen, die uns mögen, die uns gern haben, so wie wir
sind. Menschen, denen wir vertrauen können. In der Freundschaft sind Achtung
und Liebe verbunden. Vor einem Freund brauche ich mich nicht zu bücken und
zu verstellen. Einer Freundin können wir in die Augen sehen. In der
Freundschaft werde ich so, wie ich bin, akzeptiert, geachtet und geliebt.
Ein Freund bewährt sich in der Not. Aber nicht nur und nicht erst in der
Not. Mit einer Freundin möchte ich doch auch meine Freuden teilen und meine
schönen Erfahrungen austauschen können.
Freunde werden verraten und Freundschaften gehen nicht selten in die Brüche.
Eine tragfähige Freundschaft können wir notfalls wieder reparieren: Denn
man kommt in der Freundschaft nicht weit, wenn man nicht bereit ist, kleine
Fehler zu verzeihen (Jean de la Bruyère).
Eine gute Freundschaft müssen wir bewusst pflegen. Das verstehe ich umso
besser, je älter ich werde und je öfter ich vereinsamte alte Menschen
antreffe.
Eine echte Freundschaft ist ein Geschenk. Freunde müssen wir erst finden und
gewinnen. Freundschaften fangen mit Begegnungen an, irgendwo und irgendwann,
und wir a hnen nicht, dass der- oder diejenige einer der wichtigsten
Menschen in unserem Leben werden kann. Vielleicht begegnet er oder sie mir
gerade heute.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi, Beat Schlauri
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Weg-Wort vom 27. Mai 2011
Gott gab uns die Zeit von Eile hat er nichts gesagt
Es gibt eine wunderschöne Bilderbuchgeschichte von der Schildkröte
Tranquilla Trampeltreu. Ich musste sie meinen Kindern, als sie klein waren,
wochenlang als Gute-Nacht-Geschichte vorlesen. Der gemäch-liche Rhythmus kam
den Kindern entgegen. Sie fragten nach, blätterten zurück und freuten sich
jeweils auf den nächsten Abend, um mit der Schildkröte ein neues Tages-
Abenteuer zu erleben. Schritt für Schritt, so wie es Tranquilla, die
Ruhige, Bedächtige, unbeirrt jedem sagte, den sie unterwegs traf, immer mit
der festen Gewissheit, rechtzeitig anzukommen. Sogar von einer Schnecke
wurde sie ausgelacht. Diese machte sich nämlich erst gar nicht auf den Weg
und riet der Schildkröte, es ihr gleich zu tun und zuhause zu bleiben.
Notker Wolf, Abtprimas der Benediktiner, schreibt: Alles zu seiner Zeit.
Das ist nicht nur eine Frage der Schnelligkeit oder Langsamkeit, sondern
einfach auch die Frage des Zurücknehmens von Druck, auch des Zeitdrucks. Es
ist die Befreiung der Zeit von blossem Nutzen- und Zweckdenken. Und Papst
Johannes XXIII meinte einmal, dass er sich vor zwei Dingen hüten wollte: vor
der Hetze und vor der Unentschlossenheit.
In meiner Tageszeitung gibt es wöchentlich eine Kolumne mit immer den-selben
Fragen an bekannte Persönlichkeiten. Eine davon lautet: Was ist für
Sie wichtiger? Ein Ziel zu erreichen oder möglichst nichts zu verpassen?
Wie würden Sie antworten?
Sicher kennen Sie Mac drive von Mc Donalds, bei dem man sein Fastfood-
Menu fassen kann, ohne aus dem Auto zu steigen. Als Gegenpol gibt es heute
Slow food und Slow up, gerade weil wir oft so gehetzt sind, weil das
Lebenstempo immer rasanter wird. Wir können das Rad der Zeit nicht einfach
anhalten, bestimmt aber manchmal langsamer laufen lassen.
In einem Laden entdeckte ich eine grosse Tasse mit einem Spruch darauf:
Gott gab uns die Zeit. Von Eile hat er nichts gesagt. Wenn der Alltag
wieder
einmal besonders hektisch ist, denke ich an dieses Wort und setze bewusst
einen Schritt vor den andern.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 26. Mai 2011
Ostern kann jeden Tag geschehen
Ein guter Bekannter kam in die Bahnhofkirche und erzählte diese kleine
Begebenheit.
Es ist Ostern in einem Schweizer Bergdorf.
Die Menschen versammeln sich zum Gottesdienst. Sie kommen von weither, eine
halbe Stunde zu Fuss ist keine Seltenheit. Alle haben mitgebracht, was
gesegnet werden sollte. Nur eine ältere Frau hat es vor lauter Eile
vergessen. Kein Salz, keine Eier und damit irgendwie auch keine rechte
Osterfreude und kein rechtes Osterfest. Salz und Eier liegen bei ihr immer
noch auf dem Küchentisch und warten darauf mitgenommen zu werden.
Lieber Herr Pfarrer, kommen Sie bitte zu mir, um mir Salz und Eier zu
segnen., so bittet sie den Geistlichen nach dem Gottesdienst in einem
Anflug von Verzweiflung.
Warum tun sie es nicht selber?, antwortet dieser. Kann ich das?,
erwidert die Frau mit grösstem Erstaunen.
Natürlich kann sie das, sie kann das Salz und die Eier segnen, sobald sie
zurück ist in ihrem Haus. Sie soll segnen, was für sie gesegnet werden muss.
Die Augen der Frau begannen zu leuchten, ihr ganzes Gesicht erstrahlte von
einer unbeschreiblichen Freude: Jetzt ist wirklich Ostern geworden., sagte
sie und machte sich leichten Herzens und tieferfreut auf den Heimweg.
Als mir mein Kollege diese kleine Geschichte erzählte, war die Freude der
Frau in seiner Stimme zu spüren und in seinen Augen zu sehen. Zu wissen,
dass das Segnen nicht nur Pfarrern und Priestern vorbehalten ist, sondern
ein Teil unseres Auftrages als Feld-, Wald- und Wiesenchristen ist, macht
Ostern zu Ostern und zwar an jedem Tag. Gott segne Sie.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 19. Mai 2011
Beschützt und geborgen
In der katholischen Kirche ist der Monat Mai Maria gewidmet, der Mutter
Jesu. Schon als Kind liebte ich die Maiandachten. Alles daran war so anders
als gewohnt, angefangen bei der kleinen Kapelle, wo die Andachten
gefeiert wurden. Das Grösste aber waren für mich die Marienlieder. Ich sang
sie immer aus vollem Herzen mit.
Die Darstellung der Gottesmutter als Schutzmantel-madonna ist mir bis heute
besonders lieb. Da ist keine Krone, die diese Frau in unerreichbare Sphären
entrückt, kein Podest, so dass ich den Hals recken müsste, um sie zu sehen.
Statt dessen eine Frau auf Augenhöhe, aber dennoch mit der Aura eines ganz
besonderen Menschen.
Maria breit den Mantel aus, mach Schirm und Schild für uns daraus.
Lass uns darunter sicher stehn, bis alle Stürm vorübergehn.
Patronin voller Güte, uns allezeit behüte.
In diesem Lied aus dem 17. Jh. kommt die ganze menschliche Sehnsucht nach
Schutz und Geborgenheit zum Ausdruck. Heute wie damals brauchen wir einen
Ort, wo wir mit unseren Sorgen und Nöten aufgehoben sind und Hilfe und Trost
finden.
Die Darstellung Marias mit einem weiten Mantel, den sie vom Körper weghält,
damit Schutzsuchende darunter Platz finden, hat ihren Grund in einem
Rechtsbrauch aus dem Mittelalter. Verfolgte fanden nämlich rechtlichen
Schutz, wenn sie mit dem Mantel von hochgestellten Personen bedeckt wurden.
Und Kinder wurden zum Zeichen der Adoption unter den Mantel genommen.
Die Redensart jemanden unter die Fittiche nehmen hat eine ähnliche
Bedeutung. Wir brauchen uns nur in der Tierwelt umzusehen. Die Küken sind
unter dem Gefieder ihrer Eltern geschützt und geborgen.
Maria mit dem Schutzmantel ist mehr als nur ein schönes Bild. Sie stand beim
Kreuz ihres Sohnes, stand zu ihm. Genauso ist sie auch für uns da und bietet
uns einen Zufluchtsort als Mutter der Menschheitsfamilie.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 18. Mai 2011
Freiwillig
Erkennt die unter euch an, die sich solche Mühe geben Achtet sie hoch und
liebt sie wegen ihres Wirkens! (1Thess 5, 12-13)
Mal ehrlich, gehen Sie immer gerne zur Arbeit? Denken Sie beim Aufwachen
schon mit Freude an die viele Hausarbeit, die auf Sie wartet? Können Sie auf
beide Fragen ohne zu zögern mit Ja antworten? Gratuliere! Sie gehören
offensichtlich zu den Glücklichen!
Was aber bringt unzählige Menschen dazu, freiwillig und ohne Lohn einen Teil
ihrer Freizeit für die Allgemeinheit einzusetzen? Sind solche Dienste
wirklich ein Ehrenamt? Sind sie nicht eher Bürde als Würde? Und sind die
Freiwilligen diejenigen unter uns, die nicht nein sagen können und sich in
ihrer Gutmütigkeit vor den Karren der Allgemeinheit spannen und ausnützen
lassen?
Wohl kaum. Menschen, die ihr Wissen, ihre Kraft und ihre Zeit für einen
guten Zweck einsetzen, sind sich bewusst, dass es gutes Leben für alle und
soziales Miteinander nur dort geben kann, wo wir einander stützen und
unterstützen.
Ist geben deswegen seliger als nehmen? Fast ausnahmslos berichten
Freiwillige, dass sie sich reich beschenkt fühlen, ja, sie sind sogar der
Ansicht, dass sie mehr zurück bekommen als das, was sie gegeben haben.
Vielleicht möchten Sie selber diese Erfahrung machen und sich ehrenamtlich
engagieren. Möglichkeiten dazu gibt es sehr viele!
Ob Kultur, Soziales, Sport, Politik oder Nachbarschaftshilfe die
Freiwilligen-arbeit hat, sowohl gesellschaftlich als auch
volkswirtschaftlich, eine riesige Bedeutung. Sie ist von unschätzbarem Wert
und in der Tat unbezahlbar.
Deshalb hat der Europarat das Jahr 2011 zum europäischen Jahr der
Freiwilligentätigkeit ausgerufen, um der Freiwilligenarbeit die
Wertschätzung entgegen zu bringen, die sie verdient hat. Den 21 freiwillig
Mitarbeitenden der Bahnhofkirche sei heute mit diesem Wegwort ein Ehrenkranz
gewunden. Sie sind unentbehrlich geworden für die Besucherinnen und
Besucher, aber auch für uns Seelsorgende. DANKE!!!
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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