Weg-Wort vom 30. Juni 2010
Rang und Namen
Ist Ihnen das auch schon mal passiert? Sie sind Gast an einem Fest. Als zu
Tisch gebeten wird, suchen Sie Ihren Namen auf den Kärtchen und finden ihn
ausgerechnet an dem Platz, wo Sie nicht gern sitzen möchten, nämlich ganz
unten am Ende der Tafel, am Rande. Wie haben Sie sich da gefühlt?
Im April dieses Jahres starb der Leiter der Bayreuther Festspiele, Wolfgang
Wagner, ein Enkel des berühmten Komponisten Richard Wagner. Seine Nichte
weigerte sich, an den Trauerfeierlichkeiten teilzunehmen, weil sie ihrer
Meinung nach keinen angemessenen Platz bei dem Festakt zugeteilt bekommen
hatte.
Albert Einstein hatte da seine ganz eigene Ansicht. Von ihm ist folgende
Anekdote bekannt: Bei einem grossen Essen, zu dem er eingeladen hatte, waren
nur Gäste mit Rang und Namen um die Festtafel versammelt. Im Anschluss
fragte jemand den Nobelpreisträger: War es nicht schwierig, bei so vielen
bedeutenden Leuten die richtige Tischordnung zu finden? Einstein meinte:
Für so etwas wie eine Tischordnung verschwende ich keine Mühe. Diejenigen
unter meinen Gästen, die von Bedeutung sind, achten sowieso nicht darauf,
und diejenigen, die darauf achten, sind nicht von Bedeutung.
Es existiert aber doch so etwas wie eine heilige Ordnung. Das nämlich
bedeutet das griechische Wort Hierarchie. In den Klöstern kennt man eine
Rangordnung, die sich nach dem Datum des Eintritts in die Gemeinschaft
Bemisst, unabhängig vom Alter. Der zuletzt Hinzugekommene hat auch den
letzten Platz. So etwas Formales kann durchaus eine kluge Regelung sein.
Denn dadurch wird niemand höher oder niedriger gestellt, sondern es ist eine
pragmatische Lösung, um allen gerecht zu werden.
Jesus beendete das Gerangel seiner Anhänger um die besten Plätze mit der
Maxime: Wer der Erste sein will, soll der Diener aller sein. ( Mk 10,44)
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
info(a)bahnhofkirche.ch
www.bahnhofkirche.ch
Weg-Wort vom 29. Juni 2010
Heute schon gelebt?
Immer mit voller Kraft vorwärts, wenn möglich sogar auf der Überholspur.
Denn ich muss dran bleiben, sonst verpasse ich am Ende noch den Anschluss.
Das wäre das Aus. Für die Karriere, für den Wohlstand, für die Familie, fürs
Image.
Die Frage ist bloss, was für ein Ziel ich dabei im Auge habe und ob es sich
wirklich lohnt, dass ich mich so abstrample.
Eher das Gegenteil ist der Fall. Unsere hektische Geschäftigkeit auch wenn
es sich um ein wichtiges Tagesgeschäft handeln sollte ist oftmals ein
Ausdruck dafür, dass wir ziellos, ja sogar orientierungslos sind. Ein Wort
von Mark Twain bringt es auf den Punkt. Als sie das Ziel aus den Augen
verloren, verdoppelten sie ihre Anstrengung.
Da kommt das Wort des Dichters Angelus Silesius gerade recht, weil es
Einhalt gebietet. Silesius fragt nämlich: Halt an, wo läufst du hin? Mit
der Frage ist auch gleichzeitig eine Aufforderung verbunden. Stopp! Hör auf
zu rennen! Weisst du überhaupt, wohin du läufst? Was soll das Gehetze?
Komm erst mal zur Besinnung! Besinn dich, ob es überhaupt Sinn macht, was
du da tust. Oder ob alles nur heisse Luft ist. Vielleicht versuchst du ja
nur, deine innere Leere zu überdecken, mit Aktivismus auszufüllen, damit du
dich nicht selber aushalten musst. So läufst du aber nicht auf ein Ziel hin,
sondern du läufst dir selbst davon.
Die Anfrage von Christa Wolf könnte uns eine Lebenshilfe sein: Obwohl zum
Innehalten die Zeit nicht ist, wird einmal keine Zeit mehr sein, wenn man
jetzt nicht innehält. Lebst du jetzt, wirklich? In diesem Augenblick, ganz
und gar? Wann, wenn nicht jetzt?
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
info(a)bahnhofkirche.ch
www.bahnhofkirche.ch
Weg-Wort vom 25. Juni 2010
Gott lässt mich nicht im Stich
Schmerzen können uns den Schlaf rauben. Sie quälen den Körper, und sie
ziehen quälende Fragen nach sich: Warum gerade ich? Ich hab doch schon
mehr als einmal auf die Zähne gebissen. Warum klappt es diesmal nicht? Was
bin ich denn noch wert, ich kann nicht mehr klar denken vor lauter
Schmerzen, kann nichts mehr leisten. Mein Glaube bekommt ein riesiges
Fragezeichen.
Erst mit der Zeit begriff ich: Vielleicht waren die Schmerzen ein Anruf
Gottes, bewusster und angemessener zu leben.
Vielleicht hatte ich das Mass überschritten, das zu mir passte. Ich hatte
die Warnsignale meines Körpers einfach ignoriert. Ich hatte
an mir vorbeigelebt. Die Schmerzen zeigten mir, dass es nicht einzig darum
gehen konnte, gesund zu sein und möglichst viel zu leisten. Sondern dass es
darum ging, dass ich mich öffne für Gott, in Gesundheit und Krankheit, wenn
ich stark und wenn ich schwach bin.
Der verstorbene Kabarettist Hanns Dieter Hüsch war ein engagierter Christ.
Das Buch der Psalmen hatte es ihm besonders angetan, weil Menschen
darin ihr ganzes Leben vor Gott bringen: ihre Hoffnung, ihre Verzweiflung
und ihren Glauben. Seine persönlichen Erfahrungen fasste er zusammen in dem
Satz: Gott lässt mich nicht im Stich. Auf einer solchen Erfahrung der
Gottesnähe beruhen auch seine folgenden Gedanken, die er August - Psalm
nannte:
Herr ich bin krank und trau mich nicht ans Licht. Mein Schmerz lässt mich
nicht glauben. Ich fluche von Kopf bis Fuss und meine Haut zerspringt.
Die Zeit frisst mein Gesicht. Mein Fuss ist lahm und meine Seele wund.
Lass mich zur Ruhe kommen, Herr. Gib mir die alte Mitte wieder, mein
Gleichgewicht. Ich überwinde jedes Drahtseil, von Turm zu Turm gespannt
Doch heute bin ich schwach und schwindlig. Komm, Herr, und leg mir Kühle
auf die Stirn. Hol mir den Schüttelfrost aus meinem Schädel. Ich sehe
schlecht und will gesunden. Du warst es, der mich immer heilte. Ich lieg zu
deinen Füssen und warte auf dein Wort.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
info(a)bahnhofkirche.ch
www.bahnhofkirche.ch
Weg-Wort vom 24. Juni 2010
Manchmal bin ich wütend auf den lieben Gott
Immer wieder begegnen mir Menschen, denen das Warum? ins Gesicht
geschrieben ist. Sie sprechen aus, was sie nicht verstehen, warum Gott
zulässt, dass der Ehemann krank und zum Sterben verurteilt ist, warum er
zulässt, dass das Erdbeben so viele Opfer fordert und wieder die
Schwächsten, warum er nicht eingreift, wenn Menschen andere unterdrücken und
vernichten.
Man könnte heulen und an seiner Existenz zweifeln. Warum zeigst du dich
nicht, Gott? Wenn es ihn gibt, warum versteckt er sich, schweigt, lässt sich
nicht blicken.
Schon Voltaire hat seinen Candide durch alle Höllen der Welt geschickt, um
eine gescheite Antwort auf diese Frage zu kriegen. Candide suchte nach der
Besten aller Welten. Warum? oder die Frage nach dem Leid, das nicht
aufhören will, und oft auch keinen Sinn ergibt. Wie gehen wir um mit unserm
Leiden, das nun mal zu unserm Leben gehört, ob wir wollen oder nicht? Wie
gehen wir um mit einem Gott, der sich um uns sorgt, der mit uns ist, der
begleitet, der aber nicht so funktioniert, wie wir es gerne hätten?
Wie gehen wir mit Gott um, der selbst seinen Sohn in diese Welt gesandt
hat? Und der muss nicht nur die Schmerzen der Folter am Kreuz aushalten,
sondern auch den bitteren Spott. Wenn er schon an Gott glaubt, soll der ihn
doch jetzt retten (Mt 27, 43). Nach einer solchen Rettung würde jeder
glauben. Wir hätten, was wir wollten einen Gott, der wie ein Notnagel
funktioniert.
Es ist aber nicht so. Gott tickt anders. Wie ein Vater oder eine Mutter
lässt er uns ziehen, dass wir unsere Freiheit erlangen, erwachsen werden,
uns entfalten können und reifen. Das alles ist wunderbar, eine Fülle von
Möglichkeiten: Er greift nicht ein, lässt uns gross werden, hindert es
nicht.Ist das nicht wunderbar? Aber eben nur die eine Seite der Medaille.
Die andere ist es, den langen Weg zu gehen trotz Zweifel und Verzweiflung,
trotz Unverständnis und Nicht-Begreifen und an ihm festzuhalten.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
info(a)bahnhofkirche.ch
www.bahnhofkirche.ch
Weg-Wort vom 21. Juni 2010
Gottes Zuspruch für das Alter
Neulich war ich bei älteren Verwandten zu Besuch. Sie zeigten uns Fotos von
ihren Kindern und Grosskindern. Einige vom 50. Geburtstag der Tochter, die
an MS leidet, andere vom 18. Geburtstag des Enkels. Auf weiteren Fotos war
die Tante zu sehen, wie sie anlässlich eines Pfarrei-projektes an einem
Stand Faire - Trade - Produkte verkauft, und der Onkel, wie er bei einer
Bergtour strahlend auf einem Gletscher steht. Die Beiden sind seit über
fünfzig Jahren miteinander verheiratet.
Er schaute sie an, drückte ihre Hand und sagte: Gell, wir habens immer
schön miteinander! Längst nicht jedem Paar ist es vergönnt, miteinander alt
zu werden. Oft überlebt ein Partner den andern um Jahre oder gar Jahrzehnte.
Oder der eine ist jahrelang krank und pflegebedürftig. Oder die Beziehung
ist zerbrochen. Oder jemand ist Single.
Was mich so sehr beeindruckt hat bei meinem Besuch, das ist die Dankbarkeit,
mit welcher die Beiden einander angeschaut haben. Sie sind dankbar dafür,
dass sie mit achtzig Jahren noch relativ gesund sind. Sie sind dankbar
dafür, dass sie ein gutes Verhältnis haben mit ihren vier Kindern. Dabei hat
ihr fester Glaube sie durch alle Höhen und Tiefen des Lebens getragen. Immer
wieder, so sagten sie, würden sie den Zuspruch Gottes erfahren, so wie es im
Psalm 103 steht:
Hört mir zu, die ihr älter geworden seid, die ihr von mir getragen werdet,
bis auf den heutigen Tag:
Ich will euch beschützen, bis ihr grau werdet und will euch behüten bis zum
letzten Atemzug.
Ich gebe euch Müden neue Kraft und stärke eure schwachen Seelen.
Euer Leben wird leichter, und ihr werdet sein wie ein Adler, getragen
von den Flügeln meiner Güte und von den Schwingungen meiner Liebe.
Mit dieser verheissungsvollen Zusage möchte ich gerne alt werden.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
info(a)bahnhofkirche.ch
www.bahnhofkirche.ch
Weg-Wort vom 17. Juni 2010
Zutrauen und Vertrauen
Als Jesus weiterging, liefen zwei Blinde hinter ihm her und riefen: Du Sohn
Davids, hab Erbarmen mit uns! Als er ins Haus ging, folgten sie ihm, und er
fragte sie: Traut ihr mir zu, dass ich euch helfen kann?
Ja Herr, antworteten sie. Da berührte Jesus ihre Augen und sagte: Was ihr
in eurem Vertrauen von mir erwartet, soll geschehen. Da konnten sie sehen.
(Matthäus 9,27-30)
Kann man heute überhaupt noch jemandem über den Weg trauen? Herrscht nicht
vielerorts ein Klima des Misstrauens? Die beiden Blinden trauten Jesus nicht
nur zu, dass er die Fähigkeit zum Heilen hatte, sondern sie vertrauten ihm
blind. Sie vertrauten sich ihm vorbehaltlos an, ohne den leisesten Zweifel.
Dieses unerschütterliche Vertrauen in Gottes gute Führung und Hilfe hatte
auch jene Frau, welche am Tag vor der Operation eine Kirche aufsuchte und
ihre Gedanken ins Anliegenbuch schrieb, das dort auflag:
Guter Gott, bitte führe morgen die Hand des Chirurgen, dass die OP gelingen
mag und ich wieder meine Hand gut gebrauchen kann. Sei bei mir. Ich danke
dir, und im Vertrauen und mit deinem Geleit gehe ich morgen ins Spital.
Da ist zum einen das know how der Ärzte, auf das die Frau vertraut. Dann
kommt aber noch eine weitere Dimension ins Spiel. In ihrem grossen Vertrauen
auf Gott bittet sie, er selbst möge die Hand des Chirurgen führen.
Sie kann dem Chirurgen ihr Zutrauen schenken, denn er beherrscht sein
Metier. Aber noch mehr vertraut sie darauf, dass Gott seine Hand führt.
Das schmälert keineswegs ihr Vertrauen in die ärztliche Kunst. Vielmehr
hilft ihr der Glaube, dass Gott an ihrer Seite ist, gelassen und ruhig ins
Spital zu gehen. Sie sagt wie die Blinden: Ja, Herr. Einen solchen
Glauben, der im Voraus fähig ist zu danken, wünsche ich uns allen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
info(a)bahnhofkirche.ch
www.bahnhofkirche.ch