Weg-Wort vom 27. Januar 2011
Warum Gegensätze zusammengehören
Eine Frau sagte mir in einem Gespräch: Gerade jetzt, wo ich Gott so
dringend bräuchte, spüre ich ihn überhaupt nicht. Auch beim Beten fühlt sich
alles in mir so leer an. Ich konnte sie gut verstehen. Ja, wenn es doch nur
einfacher wäre, Gott zu begreifen!
Die folgenden Gedanken von Ulrich Schaffer gehen weit über Vertröstung
hinaus. Sie können bewirken, dass jemand mit sich selbst wieder in Kontakt
kommt und dadurch auch Gott wieder spüren kann.
Dunkle Momente in deinem Glauben. Gott ist anders, als du dachtest. Wenn du
ihn brauchst, ist er nicht für dich da. Er scheint
dir das blutvolle Leben nehmen zu wollen.
Er umgibt dich mit Regeln, die dich einengen. Er hindert, fordert und
verpflichtet.
Könnte es an der Zeit sein, deine Kinder-
vorstellungen von Gott aufzugeben und ihn neu zu suchen, in der Freiheit des
Geistes und nicht in der Enge der Dogmen, in der Weite der Liebe und nicht
in der
Verneinung des Lebens?
Weil du dunkle Zeiten kennst, ist dir nichts mehr selbstverständlich.
Jeder Moment ist kostbar, und jedes Glück ein Stück Himmel.
Langsam schält sich eine Erkenntnis heraus.
Es ist das Wissen, dass das Leben aus hell und dunkel besteht, aus oben und
unten, aus jetzt und ewig, aus allein und zu zweit, aus innen und aussen,
und die Gegensätze bestehen nur in unserer engen Sicht der Welt.
Sie gehören zusammen und eins ist nur die Rückseite des anderen.
Sie bilden den Rhythmus, in dem sich alles entfaltet.
Und so erscheint in jeder Helligkeit schon bald ein Schatten
und die Dunkelheit geschieht auf dem Hintergrund des Lichts,
und zusammen bilden sie den unendlich reichen Teppich deines und meines
Lebens.
(aus dem Büchlein: weil du dunkle Momente kennst)
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 26. Januar 2011
Aha! Schlüsselerlebnis
Von Saulus zu Paulus. Haben Sie diese Worte schon einmal gebraucht, um die
verblüffende Wandlung eines Menschen zu beschreiben? Da hat man sich ein
Bild von jemandem gemacht, und das Urteil gleich dazu. Und dann plötzlich so
etwas! Die Person vollzog eine Kehrtwende um 180 Grad.
Nur ein Schlüsselerlebnis kann einen solchen Wandel bewirkt haben.
Vielleicht erinnern Sie sich auch an ein eigenes einschneidendes
Aha-Erlebnis. Wahrscheinlich konnten Sie erst einige Zeit danach so
richtig begreifen, was mit Ihnen geschehen war, was das bisherige Leben
komplett auf den Kopf stellte. Dann gibt es ein Einst und ein Jetzt, ein
neues, ganz anderes Leben, in dem sich Vieles verändert hat.
Gestern feierte die katholische Kirche das Fest der Bekehrung des Paulus. An
ihm zeigt sich, was für Auswirkungen ein einschneidendes Erlebnis auf das
weitere Leben haben kann. Von einem Verfolger der Urchristen wurde er zum
Apostel.
Als er im Auftrag des Jerusalemer Hohepriesters auf dem Weg nach Damaskus
war, um Anhänger von Jesus aufzuspüren und zu verhaften, hatte er eine
Begegnung mit dem auferstandenen Christus. Drei Tage lang, so heisst es,
habe er nichts mehr gesehen. Er hatte mit Überzeugung für das Gesetz gelebt
und war dabei blind gewesen für das, was dem Leben dient. Durch die
Begegnung mit Christus fiel es ihm wie Schuppen von den Augen
(Apostelgeschichte 9,18): Paulus vollzog eine radikale Wende, aber nicht von
heute auf morgen. Es war ein Prozess, der mehrere Jahre dauerte.
Deshalb habe ich die Hoffnung, dass sich alles, auch die Unheilsgeschichte
der Welt, schrittweise verändern kann auf das Gute hin. Solche
'Damaskuserlebnisse' gibt es nämlich auch heute.Dazu braucht es aber die
Erkenntnis, wie sie der verstorbene Schriftsteller Reinhold Schneider hatte:
"Was wir tun können ist: Mit unseren Kräften mitzuhelfen, dass sich die Welt
von innen her verwandelt; denn das sie es von ausen tue, ist nicht zu
erwarten."
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 25. Januar 2011
Nichts Neues unter der Sonne?
Seit Milliarden Jahren hat sich in unserem Sonnensystem nichts getan. Kam
der Prediger Kohelet vielleicht deshalb zu seinem resignierten Resumee:
Es gibt nichts Neues unter der Sonne (Koh 1,9b)
Dabei legte doch die Sonne die Grundlage für einen langen und ungestörten
Evolutionsprozess! Wie dem auch sei,
der Prediger Kohelet trifft den Nerv unserer Zeit. Er stellt fest, dass das
Leben ein immer wiederkehrender Zyklus in ewig gleichen Bahnen ist. Alles
schon mal dagewesen. Und wenn ein Mensch glaubt, er habe das Rad neu
erfunden, dann muss er sich eingestehen, dass es auch dieses schon vor
seiner Zeit gab.
Kohelet ist ein abgrundtiefer Pessimist. Und trotzdem kein Welt- oder gar
Lebensverächter. Gerade weil er um die Begrenztheit und Vergänglichkeit des
Lebens weiss (der alttestamentliche Mensch kannte noch nicht den Glauben an
ein Leben nach dem Tod), will er dem Leben seinen Sinn abringen. Er fragt
sich, was der Mensch tun kann, damit er sich an seinem Leben freut. Er
betrachtet das Leben an sich und ist fasziniert von dem, was Gott geschaffen
hat. Kohelet stellt sein Vertrauen in die göttliche Weltordnung nicht
infrage. Er will herausfinden, wie das Leben geht und welches
Erfahrungswissen dabei hilfreich ist.
Welche Möglichkeiten haben wir, unser Leben so zu gestalten, dass es erfüllt
ist trotz aller Mühen und Rückschläge, trotz Leid und Ungerechtigkeit, Armut
und Krankheit?
Kohelets Antwort ist eine Empfehlung: Nütze dein Leben, freue dich an den
Gaben Gottes, denn sie sind Geschenk. Geniesse das Dasein. Leiste selbst
einen Beitrag zu deinem Glück, die Erfüllung aber liegt nicht allein in
deiner, sondern in Gottes Hand (nach Koh 2,24).
Beides zusammen, unser eigenes Bemühen und Gottes Handeln, ergeben eine
solide Basis für Lebensfreude unter der ewig gleichen Sonne.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 21. Januar 2011
Zusammen feiern, glauben, beten
Unter diesem Thema findet weltweit vom 18. bis zum 25. Januar die
ökumenische Gebetswoche für die Einheit der Christen statt. Das Anliegen der
Zusammengehörigkeit der christlichen Kirchen ist so alt wie die Kirche
selbst. Schon in den ersten Jahr-hunderten des Christentums kam es immer
wieder zu Spannungen, Uneinigkeit und Spaltungen.
Was aber ist Einheit? Die Vorstellungen davon sind sehr unterschiedlich.
Reicht es zu betonen, dass
wir alle den gleichen Herrgott haben? Wohl kaum.
Für mich ist das Entscheidende die Einheit in der Vielfalt.
Einheit hat nichts zu tun mit Gleichmacherei, mit dem Verwischen von
Unterschieden und Verschiedenheiten. Diese sollen wir respektieren und
akzeptieren. Es kommt vielmehr darauf an, dass wir den Dialog pflegen mit
unseren Schwesterkirchen und dass wir uns auf unsere gemeinsamen Wurzeln und
auf unsere spirituelle Mitte besinnen.
Unsere Identität als Christinnen und Christen haben wir durch Gottes Geist
erhalten. Christus ist die Mitte, die uns trägt und zusammenhält. Wo zwei
oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen, hat
Jesus gesagt. (Matthäus 18,20) Er hat sich um Menschen
gekümmert und hat andere dazu gewonnen, sich gleichfalls mehr für Menschen
als für Sachen zu interessieren. Wir laufen Gefahr, uns von Sachzwängen
beherrschen zu lassen. Wir sollten, wie Jesus, den Menschen in die Mitte
rücken und damit dem ursprünglichen Willen Gottes Geltung verschaffen, der
die Welt für den Menschen geschaffen hat. (Rolf Zerfass)
Wer sich der eigenen christlichen Identität bewusst ist und sie pflegt, wird
die Vielfalt unserer Zeit zunehmend als Bereicherung erleben.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 20. Januar 2011
Der Röhrenblick
Sie geniessen es, auf einer Aussichtsplattform zu sein? Dann geht es Ihnen
wie mir und vielen anderen. Ein solcher Ort hat ja den Namen deshalb, weil
man von ihm einen grandiosen Blick auf die Natur ringsum hat oder auf die
Stadt, die einem zu Füssen liegt. So fand ich neulich die Sicht von der
Terrasse der ETH Zürich über die ganze Stadt überwältigend, obwohl es ein
trüber und grauer Tag war.
An Orten mit fest installierten Fernrohren wird diese Sicht schier
grenzenlos. Die natürliche Grenze, die mein Sehvermögen mir setzt, wird
aufgehoben. Das Teleskop holt das Ferne ganz nah heran. Dicht vor meinen
Augen tut sich mir ein Universum im Kleinen auf. Noch eindrücklicher sind
Beobachtungen des nächtlichen Sternenhimmels. Wer schon einmal die
Gelegenheit hatte, in einem Observatorium zu sein, wird das bestätigen.
Was aber wollte meine einstige Nachbarin sehen, als sie von ihrer Wohnung
aus mit dem Fernglas in unsere Stube schaute? War sie gehbehindert und
konnte nicht mehr nach draussen? Dann hat sie mit dem Blick durchs Fernglas
ihre enge Welt vielleicht etwas erweitern wollen.
Alle diese Aus- und auch Einblicke mögen faszinierend sein. Trotzdem stelle
ich nüchtern fest: Fernrohre rücken nichts wirklich näher. Die Landschaft am
Horizont bleibt unverrückbar an ihrem Ort, ebenso die Berge, die Skyline
einer Grossstadt und auch die kleine Wohnzimmeridylle der Nachbarn.
Das Zoom täuscht gewissermassen die Wahrnehmung der Sicht, indem es die
Grenzen des eigenen Auges aufhebt. Aber es kann nicht ersetzen, was ich
selbst empfinde. Erst recht nicht, was ich aus der Nähe betrachten, und
betasten kann. Unsere Sinneswahrnehmung ist unendlich tief und kostbar.
Technische Errungenschaften mögen unser Leben bereichern. Aber sie sind nur
eine Zugabe. Das Leben erfahren mit allen Sinnen ersetzen sie nicht.
Gehen wir deshalb mit offenen Augen durch den Tag, um uns an den vielen
schönen Dingen der Schöpfung in unserer nächsten Nähe zu freuen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 19. Januar 2011
Gottes schwache Seite
Eigentlich hätte die Geschichte der Menschheit mit der Sünde der Stammeltern
zu Ende sein müssen nach der Drohung Gottes: An dem Tag, da du davon isst,
wirst du sterben! Aber Gott hat seine schreckliche Drohung nicht wahr
gemacht, sondern Gnade vor Recht walten lassen. Die Menschen sind an Leben
geblieben trotz ihrer Sünde.
So nimmt die menschliche Schuld von Generation zu Generation zu und wächst
ins Unerträgliche, bis es Gott reut, den Menschen gemacht zu haben, und er
das Werk seiner Hände durch die Sintflut zerstören will. Aber Gott kann auch
diesmal seine "Schwäche für die Menschen nicht verleugnen. Der gleiche
Befund, welcher das Strafgericht begründet hat, wird nun zum Grund für
Gottes Nachsicht: Ich will fortan nicht mehr die Erde verfluchen um des
Menschen willen, denn das Trachten des menschlichen Herzens ist zum Bösen
geneigt von Jugend an (Gen 65; 8,21).
In selben Mass, wie die Sünde zunimmt, wächst auch Gottes Geduld und
Barmherzigkeit. Immer wieder gewinn seine Liebe zu den Menschen die Oberhand
über seinen gerechten Zorn, immer wieder schlägt Gottes Herz für den Sünder.
Dieser Wesenszug Gottes, seine Vergebungsbereitschaft, gehört zum Grössten
und Erschütterndsten, was uns das Alte Testament über Gott zu sagen weiss.
Diese Botschaft greift Jesus in seiner Verkündigung auf. Die Gestalt des
barmherzigen Vaters im Gleichnis vom verlorenen Sohn offenbart das
Gottesbild Jesu. Der Vater schlägt hinter dem jüngeren Sohn, der aus der
Geborgenheit des Vaterhauses davon und ins eigene Unglück rennt, nicht die
Tür zu, sondern lässt sie einen Spalt weit offen. Er hält Ausschau nach
seinem Sohn, erwartet seine Rückkehr, eilt ihm entgegen und drückt ihn an
seine Brust, ehe er ein Schuldbekenntnis stammeln kann. So ist Gott will
Jesus sagen.
Nicht nur die Schuld ist ein Stein im Wasser, der immer grössere Kreise um
sich zieht. Auch die Vergebung will um sich greifen durch uns.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
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Weg-Wort vom 18.Januar 2011
Eine Zeit des Segens
Mit den Monaten Januar und Februar sind im christlichen Gottesdienst und
Brauchtum zahlreiche Segnungen verbunden: Am Dreikönigstag bringen
vielerorts die Sternsinger den Seelsorger zur Segnung der Wohnung. An Maria
Lichtmess (2. Februar) werden die Kerzen geweiht, die im Laufe des Jahres
beim Gottesdienst oder zu Hause verwendet werden. Am 3. Februar empfangen
wir in der katholischen Kirche den Blasiussegen, der uns vor
Halskrankheiten bewahren soll, am Fest der heiligen Agatha (5. Februar) wird
mancherorts Brot gesegnet.
Segensworte, das Segnen ein ehrwürdiges Erbe früherer Zeiten passen sie
noch in unsere moderne Zeit des technisch Planbaren und Machbaren? Aber:
Fühlen wir uns geborgen in unserer technisierten, durchorganisierten Welt?
Tragen uns Naturwissenschaft und Technik in den Dunkelheiten, bei
Abschieden, Verlusten, Angst?
Segnen, so hat es sich in unserem Bewusstsein eingeprägt, steht lediglich
dem Priester zu, in der evangelischen Kirche auch den ordinierten Frauen.
Aber Glück und Segen zu wünschen, wenn ein Kind geboren wird, zum
Jahresbeginn, zum Geburtstag, zu Weihnachten und Ostern, damit haben wir
kaum Schwierigkeiten. Jeder Mensch kann segnen. Die Eltern segnen ihr Kind
mit einem Gutnacht-Kreuz oder Gutnachtkuss auf die Stirn. Die Mutter segnet
die Kleinen, bevor sie sich auf den Weg in den Kindergarten oder die Schule
machen.
Zum Abschied haben die Menschen früher gesagt: Behüte dich Gott! Heute
sagen die Menschen meist: Tschüss! Tschau! En Schöne! Aber wir können
auch einmal diesen alten Segenswunsch aussprechen: Bhüt di Gott, das
heisst: Der Herr möge schützend seine Hand über dich halten und vor Unheil
und Not bewahren.
Wir alle können Segnende werden und sein mit Worten, Gesten und Berührungen.
Dazu ist eine gewisse Vertrautheit notwendig und Behutsamkeit wie bei allen
Zeichen der Zuwendung und Zärtlichkeit. Denken wir daran: Das Entscheidende
ist nicht, Segen zu HABEN, sondern für andere ein Segen zu SEIN.
Mit freundlichen Grüssen
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