Weg-Wort vom 30 April 2010
Respekt
Vor einiger Zeit entdeckte ich bei einem Besuch in Deutschland eine
spezielle Einkaufstasche aus Papier. Sie war bedruckt mit dem Slogan:
Respekt Alles andere kommt nicht in die Tüte! Caritas hatte die
Aktion lanciert, um auf vielfältige Probleme und Not aufmerksam zu machen.
Bei meinem letzten Einkauf wurde mir wieder einmal bewusst, wie privilegiert
ich bin. Viele können sich längst nicht alles leisten. Wer sich (fast) alles
leisten kann, sollte sich in besonderem Mass verantwortlich fühlen für
Mensch und Natur. Ein respektvoller Umgang mit der Schöpfung und ein
respektvoller Umgang der Menschen miteinander sollten so selbstverständlich
sein wie das tägliche Essen.
Dazu passen die folgenden Worte aus der Bibel:
Denn Gott sprach: Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen
Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch soll
sie zur Nahrung dienen. (Genesis 1,29)
Die Erde ist unser Lebens - Mittel. Respekt vor der Grösse der Natur, aber
auch vor ihrem sensiblen Gleichgewicht mahnt uns, sie zu achten, zu pflegen
und sorgsam mit ihren Schätzen umzugehen. Zur Zeit ist alles am Blühen. In
meinem Garten fliegen Hummeln und Bienen die unzähligen Blüten des
Lungenkrauts an, um Nektar zu sammeln. Sie bekommen ihn gratis, müssen sich
aber darum bemühen.
Auch wer kein Geld hat, soll kommen. Kauft Getreide und esst, kommt und
kauft ohne Geld, kauft Wein und Milch ohne Bezahlung! (Jesaja 55,1)
Niemand wäre so naiv zu glauben, dass er ohne zu zahlen Ware bekommt. Kommt
kauft ohne Geld - esst. Das heisst, wir sollen auf das achten, was
wirklich nährt. Respekt und Rücksichtnahme sind Bedingungen für einen
sorgenden und liebevollen Umgang mit unserer Erde und ihren Bewohnern.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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www.bahnhofkirche.ch
Weg-Wort vom 29. April 2010
Wo Berge sich erheben
Zurück aus dem Urlaub, habe ich Koffer, Tasche und Rucksack ausgepackt. Ein
Berg schmutziger Wäsche liegt vor mir. Auf dem Küchentisch zwei grosse
Stapel Zeitungen und Post; die Nachbarin hat während meiner Abwesenheit
täglich den Briefkasten geleert. Dann fällt
mein Blick auf den Schreibtisch, wo die Unterlagen für die Steuererklärung
liegen. Die Eingabefrist ist bereits vorbei. In der Agenda sehe ich, dass in
den nächsten Tagen ein paar Arztbesuche und weitere Termine anstehen. Und
Wegworte schreiben sollte ich auch noch. Nüchtern betrachtet, wird die
Erholung aus den Ferienwochen wohl nicht sehr nachhaltig sein, denke ich.
Ein riesengrosser Berg türmt sich vor mir auf. Arbeit und Termine, wohin ich
schaue!
Zum Glück habe ich am Abend Yogakurs. Ankommen, die Matte ausrollen, mich
schon vor dem Beginn ein paar Minuten entspannen. So kann ich mich
einstimmen auf die kommende Stunde. Gegen Ende dann die Yogihaltung
gestreckter Berg:
Unter meinen Füssen spüre ich den Boden; die Zehen sind gespreizt wie ein
Fächer. Ich kann mich verankern, weil es ein festes Fundament gibt. Es trägt
mich. Auf dieser Basis kann ich wachsen.
Die Yogalehrerin gibt kurze Anweisungen und Erklärungen. Fest wie ein Baum
an seinem Ort, ziehe ich Tagesbilanz, nehme zusehends wahr, wie mein Kopf
frei wird, wie klare Gedanken Raum gewinnen. Ich strebe nach oben, wachse in
die Höhe.
Als ich wieder daheim bin, liegen Wäscheberg und Post noch immer da. Die
Termine und all die anderen Aufgaben bleiben ebenfalls. Aber sie sind kein
riesiger Berg mehr, der mich abschreckt oder ängstigt. Ich selbst fühle mich
nun wie ein Berg, der ruhig und fest steht. Aus den Erinnerungen der
Ferienzeit können mir jetzt Kräfte zuwachsen. Ich kann mich dem Alltag
wieder neu stellen, Schritt für Schritt. Für diese Einsicht bin ich dankbar,
denn sie wirkt ungeheuer entlastend. Voller Energie mache ich mich an die
Arbeit.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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Weg-Wort vom 23. April 2010
Aufrecht gehen sollt ihr auch heute und morgen
Leute geht aufrecht. Geht nicht mehr geduckt.
Gott will den aufrechten Gang.
Demut lässt sich nicht beugen.
Aufrecht gehen sollt ihr, wenn ihr euch nichts vormacht und euch nicht
selbst belügt. Nur ohne Maske können wir Gott erkennen. Aufrecht gehen sollt
ihr, wenn ihr keine Waffen tragen. Dann seid ihr Kinder Gottes. Aufrecht
gehen sollt ihr, wenn ihr verleumdet und verfolgt werdet, weil ihr meine
Verheissungen ernst nehmt. Euch gehört die höchste Würde.
Die Fortsetzung der Seligpreisungen wollte ich Ihnen nicht vorenthalten. Sie
sind so klar für eine offene Sicht nach innen und nach aussen. Sie fordern
uns heraus in unserm Alltag, all das, was uns beugt und zu verbiegen droht,
ernst zu nehmen und ihm nicht auszuweichen, sondern Stand zu halten,
Widerstand zu leisten, widerständig zu sein. Dass damit unser Leben
einfacher würde, ist keinesfalls gesagt, dass es aber innen und aussen
klarer, durchsichtiger und identischer wird und damit auch besser, das ist
ein Teil der Verheissung.
Wie leicht lassen wir uns beugen, wie leicht verhindert Angst oder
Unsicherheit den direkten, oft auch schmerzhaften Weg. Wie leicht? Und was
bleibt zurück, die bittere Erfahrung, es wieder nicht geschafft zu haben,
wieder ausgewichen, wieder versagt, wieder und wieder und wieder .
Und so beugen wir uns, werden kleiner und kleiner innen und aussen und
verkrümmen uns in uns selbst. Wir werden zu dem Menschen, der in sich selbst
verkrümmt, an sich selber leidet. Luther redet da vom sündigen Menschen.
Leute geht aufrecht, Geht nicht mehr geduckt. Gott will den aufrechten
Gang. Er will uns auffalten, aufrichten und aufmachen, damit wir
weitersehen als unsere durch Bedenken und Ängste getrübten Augen schauen
wollen. Wir sollen die unvertraute Weite in unserm Leben erkennen. Wie weit
können wir sehen, wenn wir uns auftun, aufgetan sind?!
Leute geht aufrecht, Geht nicht mehr geduckt. Gott will den aufrechten Gang.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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Weg-Wort vom 22. April 2010
Aufrecht gehen sollt ihr
Dort, wo ich aufgewachsen bin, hat meine Grossmutter ihren Garten gehabt.
Sie war eine Bauernfrau, die einfach gartnen musste. Für sie bedeutete dies
Leben. Gebückt ging sie jeweils ihren Weg, und wenn es nötig war, tat sie
ihre Gartenarbeit auf den Knien. Durch ihren gekrümmten Rücken wurde sie
immer kleiner, fast so klein, wie ihr Gartennachbar, der am Stock ging und
den Oberkörper nur noch waagrecht halten konnte, so dass er seinen Kopf
jeweils fest nach links drehen musste, um mir, dem Jugendlichen, beim
Grüssen in die Augen schauen zu können. Beides waren eifrige Gärtner. Wenn
ich an Sie zurückdenke, an ihre faltigen Gesichter, an die abgearbeiteten
Hände und an die feinen Erdbeeren, die ich als Lohn ihrer Arbeit geniessen
durfte, dann wirds mir warm. Ich denke an sie als Menschen, die aufrecht
und aufrichtig sich durchs Leben arbeiteten, nicht verschont von Not, von
harter Arbeit, von Entbehrung. Der Zuspruch Gottes, die Seligpreisungen,
galt sicher auch ihnen, den Gebeugten:
Leute, rief er, Gott will den aufrechten Gang
Aufrecht gehen sollt ihr, wenn ihr bettelt nach dem lebendigen Geist, der
heiligen Phantasie Gottes. Euch gehört die höchste Würde.
Aufrecht gehen sollt Ihr, wenn Ihr von Angst niedergedrückt seid.
Ihr werdet aufgerichtet.
Aufrecht gehen sollt ihr, wenn ihr Gewalt ablehnt.
Euch gehört die Erde.
Aufrecht gehen sollt ihr, wenn ihr hungert und dürstet nach Gerechtigkeit in
dieser Welt.
Euch ist ein Festmahl bereitet.
Aufrecht gehen sollt ihr, wenn ihr das Leiden der Menschen nicht aushaltet
und euch dagegen wehrt.
Euch gehört die Zuwendung aller.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
(c) Bahnhofkirche
Roman Angst, Toni Zimmermann
Iris Daus, Rolf Diezi
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