Wegwort vom 30. September 2009
Freie Hände
Aber ich sage: Eine Handvoll zum Leben und dabei Ruhe und Frieden ist
besser als beide Hände voll sinnloser Jagd nach Wind. Koh 4,6
Oft gebrauche ich nur eine meiner Hände. Mit der andern halte ich während
eines ganzen Einkaufs die Schlüssel oder den Einkaufszettel, auch dann noch,
wenn ich die Sachen an der Kasse aufs Band gebe.
Im Garten vergesse ich manchmal die Schere abzulegen, wenn ich etwas anderes
dazwischen schiebe, wie den Dünger in die Giesskanne zu geben. Ohne es zu
bemerken, gleite ich von einer Aufgabe zur andern und halte etwas in der
Hand, das mich dabei behindert.
Erst wenn ich mich daran störe, weil ich nicht voran komme, nehme ich wahr,
dass ich eine meiner Hände nicht gebrauche. Ich habe das so lange nicht
bemerkt, weil ich mich in meinen Gedanken mit etwas Drittem beschäftigte.
Wenn es vorwärts gehen soll, wenn man etwas bewirken will, muss man beide
Hände dafür einsetzen. Man ist tatkräftiger, wenn man sich auf eine Sache
konzentriert. Es gilt sich für das zu entscheiden, was man gerade jetzt tut.
Alles andere muss warten. Die Aufgabe, die wir sorgfältig und aufmerksam
angehen, hat gute Voraussetzungen zu gelingen.
Unser Weisheitsspruch bezieht sich auf das, was Bestand haben soll im Leben.
Ruhe und Frieden finden wir, wenn wir aufmerksam eins nach dem andern
angehen, jedes zu seiner Zeit. Mehrere Dinge auf einmal erledigen wollen,
das ist gemeint mit der Jagd nach dem Wind.
Wir tun oft vieles aber unbedacht, einhändig oder halbherzig. Das Resultat
entmutigt, weil uns Fehler unterlaufen oder wir kaum etwas bewirken. Wollen
wir unser Dasein verbessern und in oder um uns etwas verändern, dann müssen
Kopf, Herz und Hände zusammen wirken. Eine Aufgabe wird dann auch spannend,
wenn wir ihr die volle Aufmerksamkeit schenken. Man erledigt sie mit Schwung
und kann dann die Nächste mit beiden Händen anpacken.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Weg-Wort vom 24. September 2009
Wo die Liebe fehlt
Bestimmte Wörter sind so abgenutzt und abgedroschen, dass ich sie am
liebsten für eine Weile aus dem Sprachgebrauch verbannen möchte. Dazu gehört
für mich auch das Wort Liebe. Was wird doch nicht alles als Liebe
bezeichnet und mit der Liebe begründet!
So können wir nur versuchen, das mit dem Wort Gemeinte konkret und griffig
zu umschreiben. Einen anderen lieben heisst: sich um ihn kümmern; für ihn
sorgen; für ihn da sein; wünschen, dass es ihm gut geht; ihn nicht
verletzen; ihm geben, was er braucht. All das sind Äusserungen der Liebe.
Dem Geheimnis der Liebe kommen wir vielleicht noch besser auf die Spur, wenn
wir schildern, wie es ist, wenn die Liebe fehlt, wie es der chinesische
Weisheitslehrer Laotse tut:
Pflichtbewusstsein ohne Liebe macht verdriesslich
Verantwortung ohne Liebe macht rücksichtslos
Gerechtigkeit ohne Liebe macht hart
Wahrhaftigkeit ohne Liebe macht kritiksüchtig
Klugheit ohne Liebe macht betrügerisch
Freundlichkeit ohne Liebe macht heuchlerisch
Ordnung ohne Liebe macht kleinlich
Sachkenntnis ohne Liebe macht rechthaberisch
Macht ohne Liebe macht grausam
Ehre ohne Liebe macht hochmütig
Besitz ohne Liebe macht geizig
Glaube ohne Liebe macht fanatisch.
Liebe ist mehr als Pflichterfüllung. Die beste Absicht kann sich ins
Gegenteil verkehren, wenn dabei die Liebe fehlt, die Freude an der Sache,
der Funke der Begeisterung, das Wohlwollen für den Mitmenschen. Ist in
meinem Verhalten etwas davon spürbar? Können Menschen darin die Grundhaltung
der Liebe erkennen?
Die Liebe bleibt das Kriterium unseres Lebens. Indem wir diese Liebe leben,
nehmen wir vorweg, was bleibt und am Ende zählt. Albert Schweitzer hat das
so auf den Punkt gebracht: Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der
Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir weggehen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Weg-Wort vom 23. September 2009
Meine Hände
Ich schaue meine Hände an. Sie liegen offen vor mir auf den Knien. Ich
betrachte die Handflächen mit ihren Furchen und Linien. An meiner rechten
Hand habe ich eine lange Narbe von einer Verletzung, die ich mir schon als
Kind zugezogen habe. Ich lege die Fingerspitzen aufeinander und spüre den
Strom des Blutes unter der Haut, ich spüre das Leben, das in meinen Fingern
pulsiert.
Die menschliche Hand ist ein wunderbares, vielseitiges Werkzeug: ein
Greifarm, eine Schaufel, ein kräftiges Knetwerkzeug, eine feine Pinzette.
Hände können vieles tun: zupacken, abwehren, stützen, helfen, streicheln,
heilen, oder aber zuschlagen, wehtun. Der gestreckte Zeigfinger wirkt
bedrohlich und belehrend. Wenn wir die Faust im Sack machen, unterdrücken
wir unsere Wut. Eine offene Hand, die sich mir entgegen dargeboten wird,
erweckt Vertrauen.
Wir begrüssen uns mit einem herzlichen Händedruck. Je nach Temperament
drücken und schütteln wir uns die Hand oder wir halten sie dem anderen wie
einen schlaffen Waschlappen hin. Der Gebrauch unserer Hände sagt viel aus
über unseren Charakter und über unser Verhältnis zu den Mitmenschen, wie wir
auf andere zugehen, offen oder durch Berührungsangst gehemmt.
Jesus hatte keine Berührungsängste. Er legte den Kindern und Kranken die
Hände auf. Er berührte die Aussätzigen und Toten. Er fasste das tote Mädchen
bei der Hand und richtete es auf. Jesus wirkte nicht nur durch sein Wort,
sondern auch durch seine Hände. Seine Hände hatten die Macht zu trösten, zu
heilen, zum Leben zu erwecken.
Auch in unseren Händen stecken so viele helfende und heilende Kräfte. Wenn
wir jemanden mit einem warmen Händedruck begrüssen. Wenn wir einem
ermutigend die Hand auf die Schulter legen. Wenn wir jemanden herzlich
umarmen. Wenn wir ein Kind oder einen älteren Menschen an der Hand nehmen.
Wenn wir einem Mitarbeitenden hilfsbereit zur Hand gehen. Unsere Hände sind
so unterschiedlich und vielfältig. Und jede dieser Hände ist einzigartig und
kostbar.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Weg-Wort vom 22. September 2009
In dir steckt mehr, als du ahnst!
Sie kennen vielleicht schon die Geschichte von dem jungen Adler, den ein
Mann gefangen und in seinen Hühnerstall gesteckt hat. Er gab ihm
Hühnerfutter zu fressen und erzog ihn zu einem Huhn, obwohl er doch ein
Adler war, der König der Vögel.
Als ihn ein vogelkundiger Mann entdeckte, hob er ihn in die Höhe und sagte
beschwörend: Du bist ein Adler, du gehörst dem Himmel und nicht dieser
Erde: Breite deine Schwingen aus und fliege! Der Adler auf der hoch
gestreckten Faust blickte um sich. Hinter sich sah er die Hühner nach ihren
Körnern picken, und er sprang zu ihnen hinunter und pickte mit.
Erst als er den Adler auf einen hohen Berg mitnahm und der Sonne entgegen
steckte, breitete er seine gewaltigen Schwingen aus, erhob sich mit dem
Schrei eines Adlers in die Luft und kehrte nie wieder zurück.
Gleichen wir Menschen nicht manchmal dem Adler in unserer Geschichte? Uns
scheint das Leben im Hühnerstall sicherer, geordneter und bequemer zu sein
als die Freiheit des weiten Himmels. Wir sind zufrieden mit den
hingeworfenen Körnern. Wir stellen keine Fragen, auf die wir keine Antwort
wissen. Wir haben uns daran gewöhnt oder sind dazu erzogen worden, wie ein
Huhn zu denken, zu fühlen, zu handeln - obwohl wir doch Adler sind.
Die Geschichte vom Adler will uns die Würde unseres Lebens bewusst machen.
Sie sagt uns: Mensch, finde dich nicht damit ab, wie ein Huhn hinter dem
Maschendraht zu leben! In dir steckt mehr, als du ahnst. Begnüge dich nicht
damit, das Leben aus der Hühnerperspektive zu sehen! Es geht im Leben um
mehr als nur darum, im Staub zu scharren, Körner zu picken und Eier zu
legen. Das kann doch nicht alles sein! Du gehörst nicht dieser Erde, nicht
nur deinen familiären und beruflichen Verpflichtungen, nicht dem Staat,
nicht der Gesellschaft, auch nicht der Kirche. Du gehörst dem Himmel! Du
bist nach dem Bild Gottes geschaffen! Sein Bild ist in dir verborgen, und es
soll in deinem Leben zum Leuchten kommen!
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Weg-Wort vom 17. September 2009
Warum musste das geschehen?
Es helfe, Gott zu fragen, anstatt ihn anzuklagen, oder sich gar von ihm
abwenden. Denn solange wir fragen, bleiben wir ihm zugewandt und dadurch
offen, seine Hilfe zu empfangen, entnehme ich einer Empfehlung.
Die junge Mutter, die eben ihr Kind leblos im Bett gefunden hat, nützen
diese Worte wenig. Gefühle von Unglauben, Verzweiflung und Schmerz schütteln
sie und alle, die davon erfahren. Aufwachen möchte sie aus diesem Alptraum,
sehen dass die Sonne scheint und sich die Augen reiben. Lass diesen Kelch
an uns vorübergehen. Mach es ungeschehen, komm zurück!. Diese Stossgebete
aber verhallten wie einst in Gethsemane. Der Adressat gibt keine Antwort.
Das Geschehen nimmt seinen Lauf. Nothelfer, Ärzte kommen und versuchen das
Unmögliche.
Sie geben damit den Betroffenen wichtige Minuten, sich an die Realität zu
gewöhnen.
Irgendwann, wird dann die Tatsache zur traurigen Gewissheit. Gott, mein
Gott warum hast Du uns verlassen? Dunkel und schwer sind die Stunden,
draussen schüttelt der Sturm das Laub. Die Mutter öffnet das Fenster. Sie
bittet den Wind er möge die Seele ihres Kindes rasch in den Himmel tragen.
Dann besinnen wir uns auf die alten Worte. Alle Herbeigeeilten beten
zusammen, weil wir sonst gar nichts mehr tun können.
Es schmerzt. Wir erinnern uns an das Lachen des Kleinen, an seine
Lebensfreude, an das selige Vertrauen, mit welchem er noch vor dem
Mittagsschlaf den Nachbarn begegnete. So viele Pläne, Wünsche haben sich
zerschlagen. Der Boden ist offen, die Mutter möchte darin versinken.
Umstehende fragen sich nach dem Sinn, klagen. Wohin willst du uns lenken
Gott, dass du uns dies zumutest? Was willst Du von uns?
Wir wissen es wohl, erst nach der Auferstehung wird man im Geschehenen einen
Sinn erkennen. Aber ob und wann das gelingt, bleibt ungewiss. Vielleicht
können wir beten:Gott hilf uns, so weiter zu leben, dass dieser Morgen
einmal dämmert.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Roman Angst, Toni Zimmermann
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