Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom 31. Juli 2020
Nationalfeiertag
Morgen ist der 1. August, der schweizerische Nationalfeiertag. Dabei
beruft sich die Schweiz auf den Bundesbrief aus dem Jahr 1291. In diesem
ist zwar der Monat, nicht aber der Tag, festgehalten. Gefeiert wird der
1. August erst seit 1891, und ein offizieller Feiertag ist er sogar erst
seit 1994.
Ja, und was feiern wir? Was feiern Sie?
Die Schweiz könnte ja auch das Datum der Verfassungsgebung feiern. Der
12. September 1848 wäre jedoch etwas "nüchtern", verglichen mit der
Legende um Tell und Gessler. Mit der Geschichte vom Rütlischwur und den
wackeren Eidgenossen, die in Zeiten der Not zusammenstanden, kann man
mehr Interesse wecken, als mit der Annahme einer Bundesverfassung.
Friedrich Schiller hat uns mit seiner Geschichte von Wilhelm Tell eine
gute Vorlage geliefert, um weiterzuschreiben am Mut und Kampfgeist
unserer Vorfahren. Das Buch ist nicht nur in der Schweiz bekannt, und
somit ist die Legende bekannter als unsere BundesrätInnen.
Und heute? Wo stehen wir zusammen? Und für was setzen wir uns ein?
Ja, ich wünsche mir, dass wir Menschen zusammenstehen. Nicht aber um uns
abzuschotten. Vielmehr, um uns, wie damals, einzusetzen für
Gerechtigkeit, für Klimaschutz (gegen Müllberge und Abholzung der
Regenwälder und für erneuerbare Energie und sauberes Trinkwasser für
alle) gegen Rassismus, für die Konzernverantwortungsinitaitve (dafür,
dass die multinationalen Konzerne auch im Ausland Verantwortung für Land
und Leute tragen) und für Gendergerechtigkeit... und vieles mehr!
Wenn ich mir die Legende von Tells Apfelschuss in Erinnerung rufe, wird
mir bewusst: Vieles ist möglich, wenn wir zusammenstehen! Es ist immer
wieder möglich, Geschichte zu schreiben!
Am besten, wir beginnen heute, damit wir auch morgen etwas zu feiern
haben.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Weg-Wort vom 30. Juli 2020
Göttliche Würde
„Du Mensch, warum giltst du dir so wenig, da du doch für Gott so kostbar
bist? Gott ehrt dich hoch. Warum entehrst du dich so sehr? Warum suchst
du nach dem, woraus du geschaffen bist, und nicht nach dem, wofür du
gemacht wurdest?" Eindringlich richtete Petrus Chrysologus diese Fragen
an die Zuhörenden seiner Predigten. Im fünften Jahrhundert hat er in der
spätantiken Stadt Ravenna als Bischof gewirkt, und die katholische
Kirche feiert heute seinen Gedenktag.
Die hohe menschliche Würde finden wir im Psalm acht ausgedrückt: „Was
ist der Mensch, dass du, Gott, seiner gedenkst, des Menschen Kind, dass
du dich seiner annimmst? Du hast ihn nur wenig geringer als Gott
gemacht, mit Pracht und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. Du hast ihn
als Herrscher über die Werke deiner Hände eingesetzt, alles hast du
unter seine Füsse gelegt." Im Gebet, das wir von Jesus überliefert
haben, dürfen wir Gott als Vater ansprechen. Das ist keine rhetorische
Floskel; vielmehr macht uns Jesus auf unsere göttliche Würde aufmerksam.
Wie denke ich über mich selbst? Gewiss wollen Petrus Chrysologus, der
Dichter der Psalmen und Jesus mich nicht zur Überheblichkeit anstiften.
Zugleich tut mir ein Gegengewicht zum inneren Kritiker gut. Vermutlich
kennen wir alle diese Stimme in uns, die immer etwas auszusetzen hat am
eigenen Verhalten, eigenen Aussehen usw., der ich es nie recht machen
kann. Manche Menschen kapitulieren vor dieser inneren Stimme und haben
aufgehört, irgendetwas Grösseres oder Höheres anzustreben. Glaube ich
der göttlichen Liebe, dass ich in ihren Augen kostbar bin, so verliert
der innere Kritiker an Einfluss, und auch angesichts Kritik von aussen
kann ich ruhiger und sachlicher bleiben. Die göttliche Würde wird mir
niemand mehr nehmen können.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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Weg-Wort vom 9. Juli 2020
Gratis
„Nichts ist umsonst!" Diese Überzeugung steckt uns tief in den Knochen,
manchmal schwingt da ein mahnender, drohender, manchmal ein resignierter
Unterton mit. In fast allen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens
haben wirtschaftliche Überlegungen einen massgeblichen Stellenwert
eingenommen: Kosten und Nutzen werden gegeneinander aufgerechnet, Waren
und Dienstleistungen werden für Geld verkauft und alles hat seinen
Preis.
Wenn irgendwo etwas gratis angeboten wird, dann sind wir ziemlich
sicher, dass hier entweder etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, oder
dass mit dem Geschenk Absichten verfolgt werden. Vielleicht sollen wir
dazu verlockt werden, später das Gleiche wieder zu kaufen. Oder wir
erhalten Dinge wie Gratiszeitungen, kostenfreie Apps für das Smartphone
oder Unterhaltungssendungen, und müssen dafür die dazwischengeschaltete
Werbung ertragen.
Die Schöpfung Gottes funktioniert anders: Die Sonne verlangt nichts
dafür, dass sie die Erde wärmt und die Pflanzen wachsen lässt. Bäume
produzieren den Sauerstoff ohne Bezahlung. Wolken spenden den Regen und
Quellen das Wasser gratis. Im Prinzip stellt die Erde ihre Rohstoffe
kostenfrei zur Verfügung. Eigentum ist eine Erfindung der Menschen, die
ihre Vorzüge hat und Sicherheit schenkt, die aber auch Ungerechtigkeiten
und Probleme schafft.
„Gratis" bedeutet so viel wie „um des Dankes willen", im Gegensatz zu
einem bezahlten Gut. Es liesse sich auch mit „aus Güte" übersetzen, ohne
Gewinnabsichten. So ist Gott: Er überlässt uns die Dinge dieser Welt und
auch unsere Fähigkeiten und Talente zur freien Verfügung - gratis, aus
Güte. Was würde passieren, wenn wir diese Gaben mit derselben Haltung
verwenden?
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
Bild von Peter H auf Pixabay
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Weg-Wort vom 27. Juli 2020
Gelegenheiten
Letzten Donnerstag erschien das Weg-Wort „Perspektivenwechsel". Es
fordert Widerspruch heraus: Ist es nicht naiv zu glauben, die ganze
Realität ändere sich, wenn man nur wohlwollender, positiver,
vertrauensvoller an die Dinge herangeht? Sind nicht Schlechtigkeit und
Ungerechtigkeit übergross? Und positives Denken bloss ein Trick, um das
nicht wahrhaben zu müssen?
Natürlich wird eine positive und wohlwollende Einstellung nicht die
gesamte Wirklichkeit wie mit einem magischen Zauberstab in eitel Freude
und Sonnenschein verwandeln. Bestimmt wird sie jedoch meine persönliche
Realität anders einfärben und mich wacher und aufmerksamer machen für
das Gute, das in der Welt bereits vorhanden ist.
Kaum jemand hat den Perspektivenwechsel schöner und treffender auf den
Punkt gebracht als der dänische Philosoph, Theologe und Schriftsteller
Søren Kierkegaard. Er schreibt: „Wenn man einmal ganz in das Reich der
Liebe eingetreten ist, dann wird die Welt, so mangelhaft sie auch ist,
dennoch schön und reich; denn sie besteht aus lauter Gelegenheiten zur
Liebe."
Ich bin überzeugt, dass Jesu Auftreten und Verkündigung ganz fest mit
diesem Perspektivenwechsel verbunden sind. Der neue Blickwinkel
beschränkt sich nicht auf mein seelisches Wohlbefinden. Vielmehr
entfaltet er eine verändernde Kraft: Liebe will sich ausdrücken, will
aktiv werden.
Eine Not, die ich sehe, ist eine Gelegenheit zum Helfen. Eine
Ungerechtigkeit, die ich wahrnehme, ist eine Gelegenheit mutig
hinzustehen. Liebe ist keine moralische Pflicht mehr und wird Ausdruck
dessen, was ich in Gottes Augen seit jeher bin. Wir sind eingeladen,
viele Gelegenheiten zu ergreifen.
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
Bild von skeeze auf Pixabay
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Weg-Wort vom 23. Juli 2020
Perspektivenwechsel
Die Lernforscherin und Referentin Vera F. Birkenbihl begann ihre
Seminare bisweilen mit einer kleinen Aufgabe. Sie forderte die
Teilnehmenden auf, das erste Wort aufzuschreiben, das ihnen in den Sinn
kommt, wenn sie den Halbsatz hören: „Die Welt ist voller …"
Mit der Zeit stellte sie fest, dass im Schnitt zwei Drittel der Menschen
spontan zu einer negativen Antwort tendierten und zum Beispiel
schrieben: Die Welt ist voller Idioten, voller Egoisten, voller
Probleme, voller Ungerechtigkeit voller Neid. Ein Drittel sah die Sache
jeweils positiver. Diese Menschen antworteten etwa: Die Welt ist voller
Möglichkeiten, voller Gelegenheiten, voller Lösungen, voller Schönheit.
Alles, was die Menschen nannten, gibt es tatsächlich. Entscheidend ist,
worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, und wie wir die Dinge
beurteilen. Was wir von der Welt und von den Menschen erwarten, das
werden wir immer wieder und immer öfter wahrnehmen. Unsere Einstellungen
und Erwartungen formen unsere persönliche Realität. Die gute Nachricht
ist, dass wir unseren Blickwinkel ändern können, wenn wir es wollen.
Einen solchen Perspektivenwechsel bietet Jesus an, damals wie heute:
Gott ist uns wohl gesonnen, so wie gute Eltern. Als Gotteskinder
besitzen wir Würde und Stärke. Wir brauchen uns nicht zu sorgen, weil
alles im Göttlichen aufgehoben ist. Wie wird unsere Realität, wenn wir
diesen Blickwinkel einnehmen? Den Perspektivenwechsel nannte Jesus
„Reich Gottes", und aus dieser Haltung zu leben nannte er „Glauben". Wie
sehen Sie Ihre persönliche Realität? Sie haben die Wahl!
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
Bild von Kathleen Bergmann auf Pixabay
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Weg-Wort vom 20. Juli 2020
Zwei Wölfe
Ein weiser Grossvater aus dem Stamm der Cherokee sass eines Abends mit
seinem Enkelsohn auf einem Hügel unter dem Sternenhimmel, und beide
schauten in die Ferne. Da begann der Alte zu sprechen: „Mein Kind,
während meines Lebens habe ich immer wieder einen Kampf in meinem
Inneren beobachtet, und ich glaube, es ist eine Auseinandersetzung, der
wir uns alle zu stellen haben. Es ist, als kämpften in meiner Brust zwei
Wölfe.
Der eine Wolf erscheint dunkel und hinterhältig. Er ist getrieben von
Zorn und Neid, von Hass und Arroganz, von Ungeduld und Selbstsucht, von
Minderwertigkeitsgefühlen und Verzweiflung. Der andere Wolf zeigt sich
als freundlich und edel. Seine Kräfte sind Mitgefühl und Gelassenheit,
Aufrichtigkeit und Wohlwollen, Humor und Zuversicht, Grosszügigkeit und
Liebe. Beide Wölfe versuchen beständig, die Oberhand zu gewinnen und zu
behalten."
Der Junge wurde nachdenklich. Lange schaute er seinen Grossvater
schweigend an, bis er ihn schliesslich fragte: „Sag, Grossvater, welcher
dieser beiden Wölfe wird den Kampf gewinnen?" Der alte Cherokee lächelte
und antwortete: „Schlussendlich wird der Wolf Sieger sein, den du
beständig fütterst."
Wir haben vielerlei Antriebe in unserem Inneren, manchmal wirken sie
harmonisch miteinander, nicht selten stehen sie gegeneinander und
verursachen eine innere Zerrissenheit. Es bringt nichts, die einen
Impulse zu verurteilen. Mein Leben kommt in Bewegung, wenn ich alles
aufmerksam beobachte und mich frage: Welche Impulse haben das Sagen und
bestimmen mein Handeln? Welche Kräfte will ich nähren, damit sie zu
meinem Wesen werden?
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
Bild von christels auf Pixabay
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