Weg-Wort vom 27. August 2008
Entfesselt
Als Bub war ich beeindruckt von den Entfesselungskünstlern, denen ich auf
dem Jahrmarkt oder im Zirkus fasziniert zusah. Mit einem Kameraden versuchte
ich daheim jeweils, es ihnen gleich zu tun. Was uns natürlich nie gelang.
Jahre später habe ich erfahren, dass ich mir selber innere Fesseln zugelegt
hatte, von denen ich mich nicht allein lösen konnte: Ich war nie gut genug.
Ich vermochte vor den anderen und vor mir selber nicht zu bestehen. Ich
konnte tun und lassen, was ich wollte, es genügte nie. Gespräche mit
hilfreichen und verstehenden Menschen ermöglichten mir, mich von dieser und
anderen Fesseln soweit zu befreien, dass sie mein Leben nicht weiter
bestimmten.
Vielfältige Erfahrungen überzeugten mich, dass wohl die meisten Menschen
solche inneren Fesseln kennen, die ihr Leben mehr oder weniger bewusst
beeinflussen und prägen: die Angst zu versagen zum Beispiel, das Gesicht zu
verlieren, es nicht zu schaffen, hilflos und ohnmächtig zu sein, nicht dazu
zu gehören, nicht gemocht zu werden
Über alle hilfreichen Gespräche hinaus ist für mich die Botschaft Jesu von
der vorbehaltlosen Liebe Gottes eine befreiende, eine entfesselnde
Botschaft. Unter Milliarden von Menschen bin ich für Gott einmalig,
einzigartig, unverwechselbar wichtig und wertvoll. So wie ich bin, bin ich
von ihm gewollt, bin ich angenommen und geliebt.
Im Angesicht dieser bedingungslosen Liebe, die mich persönlich meint, vermag
ich, innere Fesseln zu lösen und Ängste loszulassen. Ich darf so sein wie
ich bin, auch mit meinem Versagen, meinen Unsicherheiten, Fehlern und
Unzulänglichkeiten. Das alles gehört auch zu mir. Ich muss es nicht vor mir
selber und anderen verbergen. Ich muss mich nicht ständig bemühen, anerkannt
und gemocht zu werden. Denn ich bin immer schon geliebt.
Mit dieser entfesselnden Freiheit, vorbehaltlos geliebt zu sein, kann ich in
jeder Begegnung mit anderen ich selber sein. Als eine/einer unter vielen bin
ich wichtig und wertvoll, darf ich meiner von Gott geschenkten Einmaligkeit
vertrauen.
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Hauptbahnhof Zürich
Seelsorger: Roman Angst, Toni Zimmermann
In Teilzeit: Sr. Anna Affolter, Sr. Zoe Maria Isenring, Susanne Wey
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