Leben
In unserer Strasse wurde ein Haus abgerissen. Ein wunderschönes altes,
verspieltes Haus. Als die Fenster rausgerissen wurden, sah man hinein: Die
Räume lagen bloss und nackt vor einem. Ich blieb einen Augenblick stehen und
fragte mich, was dieses alte Haus wohl zu erzählen hätte wenn es bloss reden
könnte. Was für Menschen haben hier gelebt, gearbeitet, gelitten, gelacht.
Am nächsten Tag komme ich wieder dort vorbei. Inzwischen wurden auch die
Mauern eingerissen und hinter dem alten Haus erblickt man die Mauer des
Neubaus, der einst Wand an Wand zum alten zu stehen kam. Dieser Anblick
versöhnt mich etwas. Gestern war ich etwas melancholisch beim Anblick der
zerstörten Geschichte eines Hauses. Heute entdecke ich, dass die Geschichte
weiter geschrieben wird. Manchmal entdecken wir Neues erst, wenn Altes
abgerissen wird.
Die Lebensgeschichten, welche sich im alten Haus zugetragen haben sind real.
Hier haben Menschen gewohnt und hier hat sich Freud und Leid abgespielt.
Daran ändert sich auch nichts, wenn das Haus abgerissen wird. Natürlich tut
es weh, möchte ich am alten festhalten. Aber letztlich ist das Haus die
Hülle, in der sich Leben abgespielt hat.
Wie oft bleibe ich am äusserlichen hängen und versperre mir so den Blick
aufs Wesentliche. Wie oft bleibe ich am Vergangenen hängen und verpasse das
Schöne der Gegenwart. Das Wesentliche ist unsichtbar, sagt der Kleine Prinz
im gleichnamigen Buch. Und in einer Ode an das Leben heisst es:
Leben kommt - und Leben geht
Leben versteckt sich Leben entdeckt sich
Leben besteht.
Das Weg-Wort - Werktagsgedanken aus der Bahnhofkirche Zürich!
Weg-Wort vom
Mit freundlichen Grüssen
Ihre Bahnhofkirche
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